Der Schwarm
gibt ihnen den Rest, weil die aufgenommene Umgebungswärme nicht wieder abgegeben wird. Viele Wale, die stranden, krepieren an einem Überhitzungsschock.«
»Dieser auch?«, fragte eine Journalistin.
»Nein. In den letzten Jahren hatten wir hier zunehmend Tiere, deren Immunsystem zusammengebrochen war. Sie starben an Infektionen. J-19 ist 22 Jahre alt geworden. Kein junges Tier mehr, aber im Durchschnitt bringen es gesunde Orcas auf 30 Jahre. Also ein Tod vor der Zeit, und nirgendwo sind Verletzungen eines Kampfes zu sehen. Ich tippe auf eine bakteriologische Infektion.«
Anawak trat einen Schritt vor.
»Wenn Sie wissen wollen, woher so was kommt, können wir Ihnen auch das erklären«, sagte er, bemüht um einen sachlichen Tonfall. »Es gibt eine ganze Reihe toxikologischer Untersuchungen, und sie zeigen, dass die Orcas vor British Columbia durchweg verseucht sind mit PCB und anderen Umweltgiften. Dieses Jahr haben wir in Orca-Fettgewebe über 150 Milligramm PCB nachgewiesen. Kein menschliches Immunsystem hätte dagegen den Hauch einer Chance.«
Die Gesichter der Leute wandten sich ihm zu. Er sah die Mischung aus Betroffenheit und Erregtheit in ihren Augen. Soeben hatte er ihnen eine Story geliefert. Er wusste, dass sie die Truppe jetzt im Griff hatten.
»Das Schlimme an diesen Giften ist, dass sie fettlöslich sind«, sagte er. »Das heißt, sie werden mit der Muttermilch an die Kälber weitergegeben. Menschliche Babys kommen auf die Welt und haben AIDS, und wir berichten darüber und sind entsetzt. Weiten Sie Ihr Entsetzen bitte aus und berichten Sie auch über das, was Sie hier vorgefunden haben. Kaum eine Spezies auf der Welt ist so vergiftet wie die Orcas.«
»Dr. Anawak.« Ein Journalist räusperte sich. »Was geschieht, wenn Menschen das Fleisch dieser Wale essen?«
»Sie nehmen einen Teil der Giftstoffe in sich auf.«
»Mit tödlichen Folgen?«
»Auf lange Sicht – möglicherweise.«
»Ist es dann nicht so, dass Unternehmen, die hier bedenkenlos Giftstoffe ins Meer leiten, etwa die Holzindustrie, indirekt auch dafür verantwortlich sind, wenn Menschen erkranken und sterben?«
Ford warf ihm einen schnellen Blick zu. Anawak zögerte. Das war ein heikler Punkt. Natürlich hatte der Mann Recht, aber das Vancouver Aquarium versuchte, jede direkte Konfrontation mit der ansässigen Industrie zu vermeiden und stattdessen den Weg der Diplomatie zu gehen. Die wirtschaftliche und politische Elite von British Columbia als potenzielle Mörderbande hinzustellen würde die Fronten verhärten, und er wollte Ford nicht in die Parade fahren.
»Auf jeden Fall belastet es die menschliche Gesundheit, kontaminiertes Fleisch zu essen«, antwortete er ausweichend.
»Das bewusst kontaminiert wurde von der Industrie.«
»Wir suchen diesbezüglich nach Lösungen. Gemeinsam mit den Verantwortlichen.«
»Verstehe.« Der Journalist notierte etwas. »Ich denke speziell an die Menschen in Ihrer Heimat, Dr. ...«
»Meine Heimat ist hier«, sagte Anawak schroff.
Der Journalist sah ihn verständnislos an. Wie hätte er auch verstehen sollen? Er hatte wahrscheinlich einfach nur gut recherchiert.
»Das meine ich nicht«, sagte er. »Da, wo Sie herkommen ...«
»In British Columbia wird nicht mehr sonderlich viel Walfleisch oder Robbenfleisch gegessen«, fiel ihm Anawak ins Wort. »Hingegen gibt es starke Vergiftungserscheinungen bei den Bewohnern am Polarkreis. In Grönland und Island, in Alaska und weiter im Norden, in Nunavut, aber natürlich auch in Sibirien, Kamchatka und auf den Aleuten, überall dort also, wo Meeressäuger zur täglichen Nahrung beitragen. Das Problem ist weniger, wo die Tiere vergiftet werden. Das Problem ist, dass sie wandern.«
»Glauben Sie, die Wale sind sich der Vergiftungen bewusst?«, fragte ein Student.
»Nein.«
»Aber Sie sprechen in Ihren Publikationen von einer gewissen Intelligenz. Wenn die Tiere begreifen würden, dass mit ihrer Nahrung etwas nicht stimmt....«
»Menschen rauchen, bis man ihnen die Beine amputiert oder sie an Lungenkrebs sterben. Sie sind sich der Vergiftung durchaus bewusst und tun es trotzdem, und Menschen sind eindeutig intelligenter als Wale.«
»Wie können Sie da so sicher sein? Vielleicht ist es genau umgekehrt.«
Anawak seufzte. So freundlich wie möglich sagte er:
»Wir müssen Wale als Wale sehen. Sie sind hoch spezialisiert, aber es ist genau diese Spezialisierung, die sie auch einengt. Ein Orca ist ein lebender Torpedo mit idealer Stromlinienform,
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