Der Schwarm
von dort aus die Ökosysteme des Clayoquot Sound. Palm selber hatte sich in der Populationskunde von Orcas einen Namen gemacht. Sie waren schnell übereingekommen, die Obduktion öffentlich durchzuführen, weil es für Aufmerksamkeit sorgen würde. Und Aufmerksamkeit hatten die Orcas weiß Gott nötig.
»Dem äußeren Anschein nach ist er an einer bakteriologischen Infektion gestorben«, sagte Fenwick auf Anawaks Fragen. »Aber ich will mich nicht zu vorwitzigen Prognosen versteigen.«
»Sie versteigen sich nicht«, sagte Anawak düster. »Erinnert ihr euch, 1999? Sieben tote Orcas, und alle infiziert.«
»The torture never stops«, summte Oliviera die Textzeile eines alten Frank-Zappa-Songs. Sie sah ihn an und machte eine konspirative Kopfbewegung. »Komm mal mit.«
Anawak folgte ihr zu dem Kadaver. Zwei große metallene Koffer und ein Container standen bereit, voller Werkzeug für die Autopsie. Einen Orca zu zerlegen war etwas anderes, als einen Menschen aufzuschneiden. Es bedeutete Schwerstarbeit, Unmengen von Blut und gewaltigen Gestank.
»Die Presse wird gleich hier sein mit einem Haufen Doktoranden und Studenten im Schlepptau«, sagte Oliviera mit einem Blick auf die Uhr. »Da es uns schon mal zusammen an diesen traurigen Ort verschlagen hat, sollten wir schnell über die Auswertung deiner Proben sprechen.«
»Seid ihr weitergekommen?«
»Hier und da.«
»Und Ihr habt Inglewood ins Bild gesetzt.«
»Nein. Ich dachte, das besprechen wir erst mal unter uns.«
»Klingt, als hättet ihr nichts Rechtes in der Hand.«
»Sagen wir mal so – zum einen sind wir verwundert und zum anderen ratlos«, erwiderte Oliviera. »Was die Muscheln angeht, existiert jedenfalls keinerlei Literatur, die sie beschreibt.«
»Ich hätte schwören können, dass es Zebramuscheln sind.«
»Einerseits ja. Und auch wieder nicht.«
»Klär mich auf.«
»Es gibt zwei Betrachtungsweisen. Entweder haben wir es mit einem Verwandten der Zebramuschel zu tun oder mit einer Mutation. Die Dinger sehen aus wie Zebramuscheln, sie bilden die gleichen Schichtungen, aber etwas an ihrem Byssus ist komisch. Die Fäden, die denFuß bilden, sind ziemlich dick und lang. – Wir haben uns spaßeshalber angewöhnt, sie Düsenmuscheln zu nennen.«
»Düsenmuscheln?«
Oliviera verzog das Gesicht. »Uns fiel nichts Besseres ein. Wir konnten eine Menge von ihnen lebend beobachten, und sie verfügen ... nun ja, sie lassen sich nicht einfach treiben wie gewöhnliche Zebramuscheln, sondern sind bis zu einem gewissen Grad navigationsfähig. Sie saugen Wasser an und stoßen es aus. Der Rückstoß treibt sie voran. Zugleich benutzen sie die Fäden, um die Richtung zu bestimmen. Wie kleine, drehbare Propeller. Erinnert dich das an irgendwas?«
Anawak überlegte.
»Tintenfische schwimmen mit Raketenantrieb.«
»Einige. Es gibt aber noch eine Parallele. Man kommt nur drauf, wenn man ein echter Eierkopf ist, aber davon haben wir ja genug im Labor. Ich rede von Dinoflagellaten. Manche dieser Einzeller besitzen zwei Geißeln am Körperende. Mit der einen bestimmen sie die Richtung, die andere dreht sich und treibt sie an.«
»Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt?«
»Sagen wir, es ist Konvergenz in großzügiger Auslegung. Man klammert sich an alles. Ich kenne jedenfalls keine Muschel, die sich auf ähnliche Weise fortbewegt. Diese hier sind mobil wie ein Schwarm Fische, und irgendwie erhalten sie trotz der Schalen sogar Auftrieb.«
»Es würde jedenfalls erklären, wie sie auf hoher See an den Rumpf der Barrier Queen gelangen konnten«, sinnierte Anawak. »Und darüber seid ihr verwundert?«
»Ja.«
»Worüber seid ihr denn ratlos?«
Oliviera trat zur Flanke des toten Wals und strich mit der Hand über die schwarze Haut.
»Über diese Gewebefetzen, die du von unten mitgebracht hast. Wir wissen nicht, was wir damit anfangen sollen, und offen gesagt konnten wir auch nicht mehr viel damit anfangen. Die Substanz war weitgehend zerfallen. Das bisschen, was wir analysiert haben, lässt zumindest den Schluss zu, dass es sich bei dem Zeug an der Schiffsschraube und dem, was an deiner Messerspitze hängen geblieben ist, um ein und dasselbe handelt. Darüber hinaus erinnert es an nichts, was wir kennen.«
»Du meinst, ich habe E.T. vom Rumpf gesäbelt?«
»Die Kontraktionsfähigkeit des Gewebes erscheint überproportional ausgebildet. Von hoher Festigkeit und zugleich enorm flexibel. Wir wissen nicht, was es ist.«
Anawak runzelte die Stirn. »Anzeichen
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