Der Sommer der Legenden
Werkzeug, das den Weg allein kannte.
Als er nach zwei Stunden die ersten Häuser von Sioux City erreichte, dämmerte es bereits.
Er suchte auf direktem Weg sein Hotelzimmer auf.
Draußen senkte sich die Nacht über das Land, als er die Zimmertür hinter sich schloss und sich rückwärts auf das schlecht gefederte Bett fallen ließ.
Er machte kein Licht.
Mit starren Augen blickte er zur Decke, und es schien, als atmete er die Finsternis mit jedem Blick tiefer in sich ein.
Sein Körper verschmolz mit der Schwärze, die nach und nach die Konturen aller Einrichtungsgegenstände verschluckte.
Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, aber in ihm waren nur Chaos und Entsetzen.
Immer wieder sah er vor sich das kleine Mädchen.
Mit dem Tod um den Hals.
Carol hatte Taylor zu Bett gebracht und ihr wie üblich eine kurze Gutenachtgeschichte erzählen wollen.
Doch das Mädchen zeigte kaum Interesse, wirkte fast apathisch und reagierte erst wirklich auf die Anwesenheit ihrer Mutter, als Carol ihr endlich das sonderbare Ding abnehmen wollte, das Taylor immer noch an einer Schnur um den Hals trug.
»Niiicht!« schrie Taylor gellend.
Ihr kleines Gesicht verzerrte sich wie unter größten Qualen und entspannte sich erst, als Carol die Finger löste, mit denen sie den roten Stein umschlossen hatte, und die Hand schockiert zurückzog.
Hastig gab sie Taylor einen Kuss, zog ihr die Bettdecke bis zum Hals und stahl sich aus dem Zimmer.
Das Licht löschte sie wie gewohnt. Taylor hatte sich noch nie in der Dunkelheit gefürchtet.
Eine tiefe Sorgenfalte hatte sich in ihre Stirn gegraben, als sie in ihr Schlafzimmer hinüberwechselte, wo Fisher aufrecht, die Beine angezogen, im Bett hockte, ein Buch auf den Knien.
»So kann es nicht weitergehen«, erklärte sie und setzte sich neben . ihn auf den Bettrand. »Tay ist so verändert. Ich habe sie noch nie so erlebt wie in den letzten Tagen.«
Fisher legte das Buch beiseite. »Was erwartest du?« fragte er erstaunt. »So ein Umzug geht nicht spurlos an einem Kind vorüber.«
»Das ist es nicht«, behauptete Carol. »Es ist dieses... Ding!«
Fisher wusste sofort, was sie meinte. »Mir gefällt es auch nicht«, gab er zu. »Aber wir sollten es nicht überbewerten. Was denkst du, mit was ich in meiner Kindheit alles gespielt habe? Für Tay ist das ein kostbarer Schatz - wo immer sie ihn herhaben mag.«
»Ja«, sagte Carol dumpf, »wo immer sie ihn herhat! Das ist ja der Punkt. So was habe ich noch nie vorher gesehen. Das liegt nicht einfach so irgendwo rum. Es erinnert mich fatal an das Totem!«
»Jetzt siehst du aber Gespenster«, meinte Fisher kopfschüttelnd. Aber es klang nicht mehr überzeugend.
»Ich wünschte, du hättest recht«, sagte sie. »Du hättest sie hören müssen. Sie schrie wie am Spieß, als ich ihr das scheußliche Ding wegnehmen wollte.«
»Morgen werde ich sie mir zur Brust nehmen«, versprach Fisher. »Du bist ja ganz fertig mit den Nerven. So kann es nicht weitergehen.«
Carol seufzte herzzerreißend. »Verdammt, es war meine Idee, hierher zu ziehen. Aber es war ein Fehler. Man will uns hier nicht...«
Fisher _ verzichtete darauf, ihr den Unsinn ausreden zu wollen.
Stumm nahm er sie in die Arme und zog sie an sich.
»Habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe?« hauchte er ihr ins Ohr.
Carol kuschelte sich an ihn. »Ja. Aber ich mag Wiederholungen...«
Sie verdrängte die düsteren Ahnungen und ließ es sich gern gefallen, dass er ihr beim Entkleiden half.
Bald darauf erlosch das letzte Licht auf der verfallenen Ranch.
Kapitel 7
Mitten in der Nacht wurde Carol durch das Geräusch des Windes wach, der heulend um das Haus pfiff.
Eine Weile genoss sie die wohlige Wärme und Nähe von Fishers Körper. Wie ein schlafender Riese lag er friedlich neben ihr.
Doch plötzlich spürte sie die Veränderung.
Ein gewaltiges Wolkenfeld, das den Himmel bislang verdunkelt hatte, riss jäh auf, und Mondlicht flutete ins Schlafzimmer.
Eine heftige Sturmbö fegte gleichzeitig durch das offene Fenster, und erneut fiel der Schatten eines Galgens auf den Fußboden des Raumes!
Carol hatte die makabre Vorrichtung auf dem Dachfirst fast schon vergessen.
Und Fisher war wegen anderer vorrangiger Arbeiten noch nicht dazu gekommen, das alte Balkengerüst abzumontieren.
Sie hob den Kopf und beobachtete das gespenstische Spiel von Licht und Schatten, das sie in seinen Bann zog.
Es dauerte Sekunden, bis sie begriff, dass irgendetwas mit dem Schatten, der
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