Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
ist gewiß nichts Neues, schon gar nicht in meinem Heimatstaat Indiana. Als ich hier ein kleiner
Junge war, befand sich das Hauptquartier des Ku-Klux-Klan innerhalb der Grenzen dieses Staates sowie auch der Schauplatz des letzten Lynchens eines afro-amerikanischen Bürgers nördlich
der Mason-Dixon-Linie, Marion, glaube ich. Aber hier befand und befindet sich auch, in Terre Haute, welches jetzt mit einer auf dem neuesten Stande der Technik befindlichen Einrichtung zur
Verabreichung tödlicher Injektionen prunkt, das Geburtshaus des Gewerkschaftsführers Eugene Debs. Er lebte von 1855 bis 1926 und führte einen landesweiten Streik gegen die
Eisenbahnen an. Er ging ein Weilchen ins Gefängnis, weil er sich unserem Eintritt in den Ersten Weltkrieg widersetzte.
Und er kandidierte ein paarmal für das Amt des Präsidenten, für die Sozialistische Partei, und sagte Dinge wie: »Solang es eine Unterklasse gibt,
gehöre ich ihr an; solang es ein kriminelles Element gibt, bin ich eins; und solang eine Menschenseele im Gefängnis schmachtet, bin ich nicht frei.«
Debs hat das so ziemlich von Jesus Christus geklaut. Aber es ist so schwer, originell zu sein. Ich weiß Bescheid!
Aber na gut, was ist eine Feststellung, auf die alle Amerikaner sich einigen können? »Zucker ist süß«, gewiß. Aber da wir uns auf
Universitätseigentum befinden, fällt uns bestimmt etwas mit mehr kulturellem Gewicht ein. Und dies ist mein Vorschlag: »Die Mona Lisa, das Bild von Leonardo da Vinci, das im Louvre
in Paris, Frankreich, hängt, ist ein vollkommenes Gemälde.«
Okay? Ich bitte um Handzeichen. Können wir uns nicht alle darauf einigen?
Okay, nehmen Sie die Hände wieder herunter. Ich würde sagen, die Wahl ist einstimmig, die Mona Lisa ist ein vollkommenes Gemälde. Der einzige Nachteil ist nur
der, den fast alles hat, was wir glauben: Es stimmt nicht.
Hören Sie zu: Ihre Nase zeigt nach rechts. Okay? Das bedeutet, daß die rechte Seite ihres Gesichts eine zurückweichende Ebene ist, die sich vom Betrachter
entfernt. Okay? Aber auf der Seite findet keine perspektivische Verkürzung statt, wodurch die dreidimensionale Wirkung entsteht. Und Leonardo hätte diese Verkürzung so leicht
hinkriegen können. Er war einfach zu faul. Und wenn er Leonardo da Indianapolis wäre, würde ich mich für ihn schämen.
Kein Wunder, daß sie so ein schiefes Lächeln hat.
Und jemand möchte mich jetzt vielleicht fragen: »Können Sie eigentlich nie ernst sein?« Die Antwort lautet: »Nein.«
Als ich am 11. November 1922 im Methodistenkrankenhaus geboren wurde und in dieser Stadt die gleiche Rassentrennung herrschte wie heute im Profi-Football und im
Profi-Basketball, klatschte mir die Geburtshelferin auf den kleinen Hintern, damit ich anfing zu atmen. Aber habe ich geweint? Nein.
Ich sagte: »Auf dem Weg durch den Geburtskanal ist mir was Komisches passiert, Frau Doktor. Ein Penner hat mich angequatscht, er hätte seit drei Tagen nichts zwischen den Zähnen
gehabt, und da habe ich ihm eins in die Fresse gehauen!«
Aber im Ernst jetzt, meine lieben bohnenfressenden Landsleute aus Indiana, es gibt heute abend eine gute und eine schlechte Nachricht. Wir leben in der besten und in der
schlechtesten aller Zeiten. Aber wirklich neu ist das nicht.
Die schlechte Nachricht lautet, daß die Marsmenschen in Manhattan gelandet und im Waldorf-Astoria abgestiegen sind. Die gute Nachricht lautet, daß sie nur Obdachlose aller Hautfarben
fressen und daß sie Benzin pinkeln.
Bin ich religiös? Ich praktiziere eine desorganisierte Religion. Ich gehöre einem unheiligen Unorden an. Wir nennen uns »Unsere Liebe Frau von der
Immerwährenden Bestürzung«. Wir sind so zölibatär wie fünfzig Prozent des heterosexuellen römisch-katholischen Klerus.
Tatsächlich –, und wenn ich meine rechte Hand so hochhalte wie jetzt, bedeutet das, daß ich nicht scherze, daß ich mein Ehrenwort gebe, daß
das, was jetzt kommt, wahr ist. Also tatsächlich bin ich Ehrenpräsident der Amerikanischen Humanistischen Gesellschaft, indem ich dem verstorbenen großen
Science-Fiction-Schriftsteller Isaac Asimov auf diesen zutiefst funktionslosen Posten gefolgt bin. Wir Humanisten benehmen uns, so gut wir können, ohne irgendwelche Belohnungen oder Strafen in
einem Nachleben zu erwarten. Wir dienen der einzigen Abstraktion, zu der wir eine echte Vertrautheit haben, so gut wir können, und das ist unsere Gemeinde.
Wir fürchten den Tod nicht, und das sollten Sie
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