Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
Vom Netzwerk:
daß Kurt depressiv war, aber wie so vieles, was allgemein bekannt ist, kann man auch dies mit gutem Grund bezweifeln. Er wollte nicht
glücklich sein und sagte viel Deprimierendes, aber ich glaube ehrlich nicht, daß er je depressiv war.
    Er war wie ein Extrovertierter, der introvertiert sein wollte, ein sehr geselliger Typ, der ein Einzelgänger sein wollte, ein Glückspilz, der lieber ein Pechvogel gewesen wäre.
Ein Optimist, der als Pessimist posierte und hoffte, daß die Leute aufmerkten. Erst beim Irak-Krieg am Ende seines Lebens wurde er ernsthaft düster.
    Es kam zu einem bizarren, unwirklichen Zwischenfall, als er zu viele Pillen nahm und in einem Psychokrankenhaus landete, aber man hatte nie das Gefühl, daß er in Gefahr war. Nach
einem Tag tollte er im Tagesraum herum, spielte Pingpong und schloß Freundschaften. Es sah aus, als imitiere er nicht sehr überzeugend einen Geistesgestörten.
    Der Psychiater des Krankenhauses sagte mir: »Ihr Dad ist depressiv. Wir werden ihm ein Antidepressivum geben.«
    »Okay, aber er scheint keins der Symptome zu haben, an die ich mich bei Depressiven gewöhnt habe. Er ist nicht verlangsamt, er sieht nicht traurig aus, er ist immer noch schnell von
Begriff.«
    »Er hat aber versucht, sich umzubringen«, sagte der Psychiater.
    »Na ja, so was Ähnliches.« Keins der Medikamente, die er nahm, nahm er in toxischem Umfang. Selbst Paracetamol nahm er in kaum therapeutischem Maße.
    »Meinen Sie nicht, wir sollten ihm Antidepressiva geben? Irgendwas müssen wir tun.«
    »Ich dachte nur, ich sollte erwähnen, daß er nicht depressiv zu sein scheint. Es ist sehr schwer zu sagen, was Kurt ist. Damit will ich nicht sagen, daß es ihm
gutgeht.«
    Der Unterschied zwischen meinen Fans und Kurts Fans: Meine wissen, daß sie geistesgestört sind.
    Kurt konnte besser werfen als fangen, besser austeilen als einstecken. Für ihn war es Routine, über Familienmitglieder provokative, nicht immer nette Sachen zu sagen und zu schreiben.
Wir lernten, damit zu leben. Es war ja nur Kurt. Aber als ich in einem Artikel erwähnte, daß Kurt in seinem Bestreben, ein berühmter Pessimist zu sein, Twain und Lincoln um deren
tote Kinder beneidete, wurde er ballistisch.
    »Ich hab’ nur versucht, Leser anzulocken. Außer dir wird das niemand auch nur ein bißchen ernst nehmen.«
    »Ich weiß, wie Witze funktionieren.«
    »Ich auch.«
    Klick und klick, wir legten auf.
    »Falls ich, Gott behüte, sterben sollte.«
    Alle paar Jahre schickte er mir einen Brief, in dem stand, was ich im Falle seines Todes tun sollte. Jedesmal, außer letztes Mal, folgte dem Brief ein Anruf, der mich beruhigte, der Brief
sei keine Selbstmordabsichtserklärung gewesen. Am Tag bevor er mir seinen letzten »Falls ich sterben sollte«-Brief schickte, schrieb er die Rede fertig, die er in Indiana zum
Auftakt des Kurt-Vonnegut-Jahres halten wollte. Zwei Wochen später fiel er, schlug mit dem Kopf auf, und sein kostbares Hirn nahm irreversiblen Schaden.
    Ich habe diese letzte Rede sehr viel sorgfältiger studiert als die meisten, da man mich gebeten hatte, sie zu halten. Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen: »Wie kommt er nur mit
einem solchen Mist immer wieder ungestraft davon?« Durch sein Publikum funktionierte es dann. Mir wurde schnell klar, daß ich seine Worte einer Zuhörerschaft und einer Welt vorlas,
die schwerstverknallt in meinen Vater war und ihm überallhin gefolgt wäre.
    »[Ich bin] so zölibatär wie fünfzig Prozent des heterosexuellen römisch-katholischen Klerus« ist ein Satz ohne Bedeutung. »Ein twerp [ist] ein Typ, der sich ein künstliches Gebiß in den Hintern gesteckt und die Knöpfe von Taxirücksitzen abgebissen hat.« »Ein snarf ist jemand, der an den Sätteln von Mädchenfahrrädern schnüffelt.« Wohin, oh, wohin verschlägt es meinen teuren Vater? Und dann sagte er
etwas, was genau den Kern der Sache traf und was empörend war und wahr, und man glaubte es teilweise, weil er gerade eben über Zölibat und twerps und snarfs gesprochen hatte.
    »Auf gar keinen Fall möchte ich jemals Arzt sein. Das ist ganz bestimmt der allerübelste Job auf Erden.«
    Eins unserer letzten Gespräche:
    »Wie alt bist du, Mark?«
    »Ich bin neunundfünfzig, Dad.«
    »Ganz schön alt.«
    »Stimmt, Dad.«
    Ich habe ihn so geliebt.
    Diese Schriften, meist undatiert und alle unveröffentlicht, halten, so, für sich genommen, sehr schön stand. Sie brauchen keinerlei Kommentar von mir. Selbst
wenn der Inhalt

Weitere Kostenlose Bücher