Der Trakt
noch durch das Licht aus dem Korridor und von einer kleinen Wandlampe hinter dem Kopfteil des Bettes erhellt.
»Ich werde mich jetzt anziehen und dieses seltsame Krankenhaus verlassen«, erklärte Sibylle und war bemüht, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen und Entschlossenheit in ihre Stimme zu legen. »Haben Sie meinen Mann schon darüber informiert, dass ich aufgewacht bin? Oder wollen Sie mir auch einreden, dass ich nicht verheiratet bin? Und was ist mit der Polizei? Wäre es nicht normal, dass die Polizei hierher kommt, um mir Fragen zu stellen?«
»Wir … wir werden natürlich Ihren Mann darüber informieren, dass Sie wieder bei Bewusstsein sind, Frau Aurich. Und die Polizei auch – sobald ich Sie für vernehmungsfähig halte.«
»Ich fühle mich gut und möchte meinen Sohn sehen.«
Die fast provokante Ruhe, die Muhlhaus die ganze Zeit an den Tag gelegt hatte, fiel langsam von ihm ab.
»Sie brauchen vor allem eines, und das ist absolute Ruhe«, erklärte er in nun deutlich schärferem Ton. Und bevor Sibylle irgendetwas darauf entgegnen konnte, wandte er sich ab und verließ den Raum.
Ihre Augen brauchten einige Zeit, bis sie sich an das schwache Licht der kleinen Lampe gewöhnt hatten. Sie konnte kaum etwas an den Wänden erkennen, aber neben der Tür musste ein Lichtschalter sein. Entschlossen setzte sie sich in Bewegung, blieb aber nach zwei Schritten abrupt stehen.
Acht Wochen Koma …
Wie war es möglich, dass sie ohne Probleme aufstehen konnte, wieso konnte sie ganz normal gehen, als hätte sie sich vor wenigen Stunden erst hingelegt?
Ich muss hier raus.
Womöglich würden die Johannes gar nicht anrufen, und er erfuhr überhaupt nicht, dass sie aufgewacht war und es ihr gutging.
Wenn er überhaupt weiß, wo ich bin.
Mit zwei großen Schritten war sie an der Tür und suchte die Wände links und rechts mit den Händen nach einem Lichtschalter ab, aber sie konnte keinen finden. Also tastete sie nach dem Türgriff, doch dort, wo sie einen Griff vermutet hatte, glitten ihre Finger nur über die schmale, längliche Vertiefung eines Zylinderschlosses. Sie ließ die Arme sinken und lehnte sich mit der Stirn gegen das kühle, glatte Material der Tür.
Eingesperrt.
Seit sie in diesem Raum aufgewacht war, schien ihr Leben nur noch aus Seltsamkeiten zu bestehen. Dieser Arzt, das angeblich wochenlange Koma, dieses abgedunkelte Krankenzimmer, in dem sie eingeschlossen war …
Hatte man sie vielleicht entführt und mit Drogen außer Gefecht gesetzt, bis man sie in diesem Raum sicher untergebracht hatte? Das konnte auch eine Erklärung für den Bluterguss auf ihrem Handrücken sein. Was aber sollten dann diese Monitore, an die sie angeschlossen gewesen war? Und was sollte dieser makabre Scherz mit Lukas, den es angeblich nicht gab? Sibylle zog den Kopf zurück und starrte gegen die dunkle Fläche der grifflosen Tür.
Lukas!
Sie musste sofort zu ihrem Sohn. Mit einem Mal war alle Resignation verflogen. Sie ballte die Hände zu Fäusten und hämmerte gegen die Tür, so fest sie konnte, aber das dicke Holz schluckte die Schläge fast komplett. Außer einem dumpfen Dröhnen war nichts zu hören. Sie machte trotzdem weiter und schrie dazu aus Leibeskräften. Unzählige Schläge später ließ sie die schmerzenden Hände sinken, drehte sich um und lehnte sich schwer atmend mit dem Rücken gegen die Tür. Langsam ließ sie sich daran entlang nach unten gleiten, bis sie auf dem Boden saß.
»Lukas«, flüsterte sie mit Tränen in den Augen. »Lukas.«
2
Sie wusste nicht, wie lange sie an die Tür gelehnt auf dem Boden gesessen hatte, als sie einen Stoß in den Rücken bekam.
Mit einem Satz war Sibylle auf, ging einige schnelle Schritte von der Tür weg und drehte sich wieder um. Dr. Muhlhaus sah erst durch einen schmalen Spalt herein, bevor er den Raum betrat und die Tür hinter sich wieder schloss.
Ein Schlüssel,
dachte Sibylle.
Er muss einen Schlüssel bei sich tragen.
Er konnte wohl an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass sie gereizt war, denn er hob beschwichtigend eine Hand und sagte sanft: »Frau Aurich, bitte, bleiben Sie ruhig. Ich möchte Ihnen helfen, das müssen Sie mir glauben.«
»Helfen? Sie haben mich hier eingeschlossen und lügen mich an. Soll das Ihre Hilfe sein? Geben Sie mir meine Sachen und lassen Sie mich sofort hier raus. Das ist die einzige Hilfe, die ich von Ihnen möchte.«
Er schüttelte mit ernster Miene den Kopf. »Das erlaubt Ihr Zustand leider nicht.« Als sich Sibylles
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