Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Unbesiegbare

Der Unbesiegbare

Titel: Der Unbesiegbare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
leicht. Das Dickicht speicherte die Sonnenstrahlen. Er ließ den Blick weiter schweifen und erkannte im Südwesten die Spitzen der Felsnadeln, deren Sockel das Felsentor bildeten, den Ort der Katastrophe. Sie wären ihm nicht aufgefallen, wenn sie nicht im Gegensatz zu allen anderen Felsen pechschwarz und wie mit einer dicken, glänzenden Glasur überzogen gewesen wären – ihre oberen Schichten hatten wohl während des Kampfes zwischendem Zyklopen und der Wolke gekocht … Aber von seinem Platz aus konnte er auf der Talsohle weder die Transporter noch eine Spur der Atomexplosion entdecken. Als er so dort lag, packte ihn plötzlich Verzweiflung: Er mußte hinunter in die Tiefe, und es gab keinen Weg. Doch statt daß er erleichtert war, nun zurückkehren und dem Astrogator sagen zu können, er habe sein möglichstes getan, reifte ein Entschluß in ihm.
    Er stand auf. Eine Bewegung im Schluchtinnern, die er mit dem Augenwinkel erfaßte, hieß ihn sich abermals unwillkürlich ans Gestein pressen, doch er richtete sich gleich wieder auf. Wenn ich mich jede Minute langlege, kann ich nicht viel ausrichten, dachte er. Er ging jetzt den Grat entlang und suchte nach einer passierbaren Stelle. Alle paar hundert Meter beugte er sich über die Leere hinaus und sah immer das gleiche Bild: Wo der Hang sich sanft neigte, dort haftete schwarzes Gestrüpp, und wo kein Gestrüpp saß, dort ging es schroff in die Tiefe.
    Einmal brachte sein Fuß einen Stein ins Rollen, er kollerte in den Abgrund, und andere folgten ihm. Eine kleine Lawine schlug polternd und tosend etwa hundert Meter unter ihm in die zottige Wand ein. Ein Licht auffunkelnder Rauchstreifen kroch daraus hervor, entfaltete sich in der Luft, blieb einen Augenblick reglos hängen, als hielte es Ausschau – er erstarrte am ganzen Leib. Doch eine reichliche Minute später wurde der Rauch lichter und versickerte lautlos in dem glitzernden Gesträuch.
    Kurz vor neun Uhr entdeckte er, als er abermals hinter einem Stein hervorlugte, unten auf der Talsohle – der Talkessel war hier bedeutend breiter – einen kleinen hellen Fleck, der sich bewegte. Mit zitternden Händen zog er das zusammenlegbare Fernglas aus der Tasche und richtete es dorthin …
    Ein Mensch! Die Vergrößerung war zu gering, als daß erdas Gesicht hätte erkennen können, aber er sah deutlich die gleichmäßigen Beinbewegungen. Der Mann ging langsam, leicht hinkend, als schleppte er ein verletztes Bein nach. Sollte er ihn anrufen? Er wagte es nicht. In Wirklichkeit versuchte er es, aber der Laut blieb ihm in der Kehle stecken. Er haßte sich selbst wegen dieser verfluchten Angst. Nur eins wußte er: daß er nun ganz gewiß nicht aufgeben würde. Er hatte sich gut gemerkt, in welche Richtung der andere gegangen war – das Tal hinauf, das immer breiter wurde, den weißlichen Kegeln der Geröllhalden zu –, und er lief in dieselbe Richtung, den Kamm entlang, über Felsbrocken und gähnende Spalten hinwegspringend, bis ihn der pfeifende Atem im Mundstück zu ersticken drohte und sein Herz wild hämmerte. Das ist Wahnsinn, das darf ich nicht, dachte er hilflos. Er lief langsamer, und plötzlich öffnete sich eine breite Felsrinne einladend vor ihm, die weiter unten beiderseits von schwarzem Gestrüpp gesäumt war. Das Gefälle wurde stärker – vielleicht war dort ein Überhang?
    Die Uhrzeit entschied, es war bald halb zehn. Er begann den Abstieg, anfangs wandte er das Gesicht dem Abgrund zu, dann drehte er sich um. Die Wand wurde zu steil. Er kletterte Schritt für Schritt abwärts, nahm die Hände zu Hilfe. Schon war er dicht vor dem schwarzen Dickicht, das ihn mit starrer, schweigender Hitze zu versengen schien. Es dröhnte ihm in den Schläfen. Er verschnaufte auf einem schrägen, schmalen Felsensims, stemmte den linken Schuh in einen Spalt und sah hinunter. Etwa vierzig Meter tiefer erblickte er einen breiten Absatz, von dem aus deutlich erkennbar ein kahler Felsbuckel abwärts führte, der sich über die aufragenden, leblosen Pinsel der schwarzen Sträucher erhob. Aber von diesem rettenden Absatz war er durch die Luft getrennt. Er sah in die Höhe. Er hatte gut 200 Meter, vielleicht sogar mehr zurückgelegt. Das heftige Hämmernseines Herzens schien die Luft zu erschüttern. Ein paarmal kniff er die Augen zusammen. Langsam, mit blinden Bewegungen, rollte er das Seil auf. Du wirst doch nicht so verrückt sein, sagte eine innere Stimme zu ihm. Er schob sich seitwärts nach unten und gelangte zu einem

Weitere Kostenlose Bücher