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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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sein, dass er zurückruft? Aber warum sollte er? Will er vielleicht doch nicht kommen?
    «Kommt nicht in Frage», sagt sie. «Nein, er muss kommen. Er muss einfach.»
    Sie dreht dem Telefon den Rücken zu, wackelt hinaus in die Küche und verharrt regungslos, während es in der Stube klingelt und klingelt. Bis sie sich beinahe wünscht, sie wäre taub. Doch dann geht ihr ein Licht auf.
    «Aslaug», sagt sie zu sich selbst. «Natürlich. Klatschsüchtig wie immer. Ganz wild darauf, über ihre Kinder zu reden, ihre Enkelkinder. Na, die wird jetzt was zu hören bekommen!»
    Sie schlurft zurück in die Stube, so schnell sie kann. Reißt im selben Moment den Hörer hoch, als es aufhört zu klingeln.
    «Ah, na ja», sagt sie und lässt sich auf einen Stuhl fallen. «Ich hatte sowieso keine Lust, mit ihr zu reden.»
    Sie blickt aus dem Stubenfenster. Was für ein schönes Licht, orangefarbenes Abendlicht. Keine Sonnenstrahlen, natürlich. Die kommen ja nie hierher. Diese Seite von Ekeberg erreicht die Sonne nicht. Aber sie kann sehen, dass sie unten in der Stadt auf die hohen Häuser, die Dänemarkfähre scheint. Der Himmel darüber ist tief herbstblau und wunderschön. Links wird die Aussicht von einem Fliederbusch eingerahmt. Er ist größer denn je und beugt sich schwer über den weißen Gartenzaun. Jetzt hat er nur noch Blätter, die bald braun werden. Aber im Frühling kommen die Blüten wieder.
    Denn alles kann sich ändern, nickt sie. Und Grün ist die Farbe der Hoffnung. Es wird immer wieder Frühling. Auch wenn erst der Winter kommen muss. Ein Winter, in dem der Flieder nackt dasteht, man sieht nur noch das Unterste, Innerste. Kahle Zweige, die versuchen, nach etwas zu greifen. Die sich in die leere Luft krallen, aber nie etwas anderes zu fassen bekommen als Wind und peitschenden Regen und den eiskalten Schnee.
    «So, na», sagt sie und wischt sich eine Träne ab, dann schlägt sie die Zeitung auf und blättert zurück zu der Seite mit dem jungen Mann. Das große Anzeigenfoto vom Theater, das nur
sein
Gesicht zeigt, kein anderes.
    «Jaja», nickt sie. «Schade, dass er seinen Namen nicht mehr benutzt, dass er sich einen Künstlernamen zugelegt hat.»
    Sie hebt die Brille an, hält die Zeitung dichter vor die Augen. Selbstverständlich ist
er
das, aber ja doch. Obwohl sie ihn nicht mehr gesehen hat, seit er ganz klein war. Unmöglich, dass irgendjemand anderes als ein sehr enger Verwandter so aussieht. Übrigens hat sie ihn nicht nur in der Zeitung gesehen. Das erste Mal ist er ihr in dieser Fernsehserie aufgefallen. Sie handelte vom Krieg, ausgerechnet. Eine Szene im Winter, draußen im Wald. Da fing ihr Herz an zu rasen, sie bekam keine Luft mehr, musste sich am Sofa festklammern, so unglaublich war die Ähnlichkeit. Als wäre er wiederauferstanden. Der Körperbau. Das Gesicht. Die Farben. Dieselben dunklen Augen, dasselbe dunkle Haar. Die bronzefarbene Haut. Sogar dieselben Bewegungen, und das Lächeln! Kein anderer ist so attraktiv wie er. Oder du. Keiner. Und gäbe es trotzdem noch irgendeinen Zweifel, würde sie es rasch herausfinden. Sie hat ja eine Karte für die Vorstellung, hat sie schon vor langer Zeit gekauft, und morgen ist es schon so weit!
    «Er ist ihm noch ähnlicher als Wilhelm. Viel ähnlicher.»
    Polly legt den Kopf schräg.
    «Und er weiß es nicht einmal. Sie wissen es nicht. Aber jetzt sollen sie erfahren, wo sie dieses Aussehen herhaben. Nach wem sie kommen. Ich kann es ja nicht einfach mit ins Grab nehmen.»
    Sie blickt wieder zu dem Vogel hinüber.
    «Ich habe vor langer Zeit versucht, es Wilhelm zu erzählen. Aber ich konnte nicht, verstehst du. Was passiert ist, was sie getan haben. Was ich …»
    Ihre Stimme bricht.
    «Genug jetzt», sagt sie und schluckt das Weinen hinunter, das ihr in die Kehle steigt. «Ich habe doch nur getan, was alle anderen auch getan hätten.»
    Aber jetzt kommt er, jetzt kann sie es loswerden, sie wird alles von Anfang an erzählen.
    «Wilhelm, mein Junge. Er kommt, weil ihm seine alte Mutter am Herzen liegt!»
    Sie fühlt Freude, als sie das sagt. Als wäre da ein kleines, süßes Pralinenherz in ihr, eingepackt in rotes Cellophan. Dass er so lange nicht hier war, hat jedenfalls nichts mit
ihr
zu tun. Wenn Leute
so weit
wegziehen, wenn die Entfernung so groß ist, gibt es zwei Möglichkeiten – entweder, sie haben die ganze Zeit Heimweh und halten fast übertrieben engen Kontakt zur Heimat, oder aber sie schauen nicht ein einziges Mal zurück und fangen

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