DGB 12 - Verlorene Söhne
seinen
Verstand für die weite Leere des Denkens öffnete.
Derart scheinbar
widersprüchliche Geisteszustände waren unabdingbar, um die Zukunft lesen zu
können. Für ihn waren sie schwierig zu erlangen, für jeden, der weniger begabt
war als er, stellten sie praktisch ein Ding der Unmöglichkeit dar.
Er spürte die ersten Anzeichen
für andere Präsenzen im Großen Ozean, formlose Kreaturen mit empfindungslosem
Appetit, kaum mehr als wimmernde Energiefetzen, die von seinem Verstand
angezogen wurden wie Schüler, die sich um ihren großen Meister scharen. Sie
wollten sich an ihm laben, aber mit einem gedachten Schnipsen schickte Ahriman
sie weg.
Solche unbedeutende Geschöpfe
stellten keine Bedrohung für einen Adept Exemptus dar, wie er es war.
Gefährlicher waren ältere, hungrigere Dinge, die in den Tiefen schwammen,
bösartige Jäger, die sich von den heißen, an Leben reichen Energien sterblicher
Reisender ernährten. Ahriman war hier zwar geschützt, aber dennoch nicht
unverwundbar.
Es begann ganz schwach, mit
einem leisen Zischen wie Regen auf Glas.
Er fühlte den federleichten Zug
und ließ sich dorthin treiben, ohne offenkundiges Interesse zu zeigen. Bewegte er
sich zu schnell, dann würde er die Struktur des Großen Ozeans stören und mit
dem Ansturm seines Eifers das launische Rinnsal zukünftiger Ereignisse
überrennen.
Ahriman bändigte seine
Begeisterung und ließ allmählich seinen Kurs und den des dünnen Stroms
zusammenkommen, wobei er sein geistiges Auge für die Kälte der ungeschriebenen
Ereignisse öffnete.
Er sah einen Berg aus Glas,
groß und ausgehöhlt, und doch nur ein Hügel, wenn man ihn mit dem Berg auf Aghoru
verglich. Ein Großteil seines Inneren war mit gelbem Licht gefüllt, ein Tiegel
aus widerstrebenden Gefühlen und Schmerz, eine düstere Unwetter-wolke
durchwirkt mit goldenen Blitzen erfüllte den Himmel.
Ahriman wusste, dies war von
Bedeutung, denn den Visionen im Äther wurde von ihrem Betrachter genauso Form
verliehen wie vom Großen Ozean. Dieser Berg und das Unwetter konnten eine echte
Vision sein, vielleicht aber auch eine Allegorie, bei der jeder Aspekt ein
Symbol für etwas Größeres war. Das Können des Adepten bestand darin, das eine
vom anderen zu trennen.
Hitzige Begeisterung trieb
durch seine immaterielle Form. Viele Jahre war es her, seit das letzte Mal ein
Corvidae in die Lage versetzt worden war, die Haut des Äthers abzulösen und die
Zukunft freizulegen. Bedeutete dies, dass sich das ewige Auf und Ab in den
Gezeiten der Macht ein weiteres Mal zugunsten seines Kults verlagerte?
Die Eindringlichkeit dieses
Gedankens schlug Wellen, die das flüssige Nichts in seiner Ruhe störten. Die
Vision zerbrach, so wie die Oberfläche eines Sees, auf den ein Wolkenbruch
niederging.
Ahriman rang mit sich, um seine
Ruhe wiederzuerlangen, aber sein unsicherer Griff, in dem er den Strom hielt,
entglitt ihm. Der Glasberg löste sich auf und zersplitterte in Millionen
Scherben, die Tränen gleich herabfielen. In jeder Scherbe spiegelte sich ein weinendes
Auge, rot und wund vor Schmerz.
Er kämpfte mit aller Macht
darum, an diesen quälenden Bildern festzuhalten, aber der Äther zog sie mit
sich, und dann waren sie auch bereits verschwunden, fortgespült von den wütenden
Wellen seines eigenen Verlangens. So wie beim Beginn eines plötzlichen Sturms
nahm die Substanz des Großen Ozeans mit einem Mal brutale Züge an. Seine eigene
Verärgerung wandte sich gegen ihn.
Rote Wellen schlugen ihm
entgegen, während sein Geist von den Gedanken an die Zukunft davongetrieben wurde.
Seine Wahrnehmung des
Unmittelbaren kehrte zu ihm zurück, und er verspürte den großen Hunger von
Jägern ganz in seiner Nähe, von habgierigen Räubern, die der Spur der Gefühle
von Reisenden folgten, um deren Körper aus Licht zu verschlingen.
Dutzende kreisten um ihn wie
Haie, die Blutgeruch gewittert hatten. Er hatte zu lange hier verharrt, als es
ratsam war, viel zu lange sogar.
Der erste Jäger tauchte aus dem
blutroten Nebel auf, angetrieben von Hunger und Instinkt. Er kam direkt auf ihn
zu, seine funkelnden Zähne nahmen in dem Augenblick Gestalt an, der nötig war,
um sie in Gedanken entstehen zu lassen.
Ahriman wich dem Jäger aus,
dessen karmesinrote Form sich sofort umdrehte, um ihm zu folgen. Gleichzeitig
tauchte aus dem Nebel ein weiterer Jäger auf. Sein geistiger Vergleich mit
Haien hatte den Jägern Gestalt verliehen, und so waren deren Körper glatt und
geschmeidig und so
Weitere Kostenlose Bücher