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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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kann mich erinnern, dass sie auf einer Feier vor den Weihnachtsferien mit einem Fußballspieler namens Matt rummachte. Jedes Mädchen auf dem Campus war in ihn verknallt. Ich glaube, sie ist mit ihm abgehauen, denn sie kam vier Tage lang nicht in unser Zimmer. Als sie dann wiederkam, rollte sie sich heulend auf dem Bett zusammen. Das machte mir Angst, denn ich hatte sie noch nie so gesehen. Ich fragte, was sie habe und sie sagte, »Ein zerstörtes Herz«. Genau so war Ashley. Ihr Herz war nicht einfach gebrochen, nein, es war gleich zerstört. Sie sagte, sie sei in jemanden verliebt, aber es bestehe keine Hoffnung. Ich dachte, Matt habe sie verlassen. Aber Matt rief von da an jeden Tag an und wollte sie sehen. Deshalb glaube ich nicht, dass es was mit ihm zu tun hatte. Es war etwas anderes. Jemand anderes. Wer, habe ich nie herausgefunden.«
     
    Banks studierte Wirtschaft im Hauptfach und verbrachte die meisten Abende in der Bibliothek. Bald hatte sie einen festen Freund und verbrachte nur noch wenig Zeit in ihrem Zimmer – doch wenn sie einmal dort war, war Ashley nicht da.
     
    »Ich glaube, sie fuhr ständig mit dem Zug nach Manhattan und machte ihr Ding, neben dem Lernen.
     
    Als Banks zum Ende des Studienjahres 2005 - 2006 aus ihrem Wohnheimzimmer auszog, fand sie dieses Foto – eines von drei Bildern, die hinter Ashleys Kommode gefallen waren.
     
    Das zweite der drei Polaroid-Bilder, die Ashley zurückließ.
     
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    Obwohl sie so viel unterwegs war, waren ihre Noten besser als meine. Ich kann mich erinnern, einen Ausdruck ihrer Notenübersicht gesehen zu haben – alles Bestnoten. Bei ihr war alles extrem,
aus dem Boden pusten
war ihre Formulierung dafür. Sie hasste alles, was wischiwaschi und schwach und zaghaft war. So hat sie mich vermutlich gesehen.«
     
    Banks wusste nichts über Ashleys Familie, nur dass sie, wie ihre eigenen Eltern auch, regelmäßig anriefen. »Meistens war es ihre Mutter. Sie hatte einen deutlichen französischen Akzent. Sehr glamourös. Aber als ich einmal abnahm, weil Ashley nicht da war, wollte ein Mann mit einer tiefen Stimme sie sprechen. Ich fragte, wer dran sei, und er sagte, ›Ihr Vater‹. Das war alles.«
     
    »Es kam eine Reihe von Anrufen für sie«, erzählt mir Banks. »Und auf einmal war Ashley weg. Eine Woche später kam eine hispanische Frau, um ihre Sachen zu holen. Ich war nicht da, aber andere haben sie gesehen. Als ich ins Zimmer zurückkam, war alles ausgeräumt. Das Einzige, was noch da war, waren drei Fotos, die ich Monate später fand, als ich für den Sommer auszog. Sie waren hinter eine Kommode gerutscht. Sie hatte eine alte Polaroid-Kamera aus den Siebzigern, mit der sie ständig Bilder machte. Es waren drei davon.«
     
    Ich frage Banks, wo Ashley ihrer Meinung nach gewesen sein könnte.
     
    »Es wurde getuschelt, dass sie schwanger war. Oder in einer Entziehungskur. Aber zum Herbstsemester war sie wieder da. Sie hatte die Erlaubnis, außerhalb des Campus zu wohnen. Ich habe den Kontakt zu ihr verloren. Aber ich erinnere mich, dass ich sie einmal kurz vor Ende des vierten Jahres alleine lesend in der Bibliothek gesehen habe. Ich wollte hingehen und hallo sagen, aber hab’ es nicht getan. Ich war vermutlich immer noch eingeschüchtert.«
     
    Banks war traurig, als sie von Ashleys Tod erfuhr. (Zum Erscheinungszeitpunkt dieses Artikels hat das NYPD die offizielle Einschätzung der Gerichtsmedizin noch nicht veröffentlicht, doch erste Untersuchungen deuten auf Selbstmord hin.) Banks räumt ein, dass sie Ehrfurcht vor ihrer umwerfenden, freigeistigen Mitbewohnerin hatte. Jetzt bedauert sie sehr, sich nicht die Zeit genommen zu haben, sie kennenzulernen und zu erfahren, was hinter Ashleys draufgängerischer Pose und ihrem Lebenshunger steckte.
     
    »Wenn ich irgendwas über sie erfahren habe, dann, dass sie mit einer Leidenschaft lebte, für die den meisten von uns der Mut fehlt«, erzählt Banks. »Aber etwas an ihr machte ein gewöhnliches Leben unmöglich. Auf eine Art überrascht es mich nicht, dass sie tot ist. Job, Ehemann, Kinder und ein Haus am Strand? Das war sie nicht. Ich kann nicht sagen, wieso. Aber sie war eher eine Macht, die durchs Leben fegte, die sich an keine Logik hielt, die einem Angst machte und sogar verletzen konnte, weil Ashley all das war, was man selbst sein wollte, zu dem einem aber einfach der Mut fehlte – und dann war sie weg. So habe ich Ashley Cordova

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