Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

mit ihm lachen? Das weiß man nicht, aber kannst du es dir vorstellen? Was ist dir wichtig im Leben? Was sind seine Träume, was sind deine? Prüfe dich, fühl in dich hinein und lasse dein Herz entscheiden. Mein Kind, ich war bei deiner Geburt dabei, ich war die Erste, die dich gehalten hat, du bist mein erstes Enkelkind. Auch wenn du acht Jahre alt warst, als du Australien verlassen hast, und ich dich damals das letzte Mal gesehen habe, bist du mir so nahe, als wärst du in meinem Haus aufgewachsen. Du bist Blut von meinem Blut – und deshalb: Folge deinem Herzen. Heirate ihn, wenn du dir sicher bist.
    In Liebe
    Deine Großmutter Lessing
    PS: Hätte ich nicht meinen Carl Gotthold geheiratet, wäre mein Auserwählter vermutlich Martin Amsinck gewesen. Wir kannten uns gut. Vielleicht musst du diese Schicksalslinie nun erfüllen. Ich würde Darri fragen, wenn sie zu uns käme, aber das tut sie nicht mehr.«
    Nachdem Carola den Brief ihrer Großmutter erhalten hatte, schickte sie ihr ein Telegramm.
    »Ist das wahr? Du trägst es meinem Vater nicht nach?«
    Emilia antwortete: »Nein, ich trage ihm nichts nach. Seine Liebe war wahr und echt und die deiner Mutter auch.«
    Carola versöhnte sich mit Rudolph. Sie folgte dem Rat der Großmutter und ihrem Herzen und heiratete Werner Theodor Amsinck am 19. November 1909. Das Paar hatte sechs Kinder, fünf Söhne und eine Tochter.
    Carl Gotthold Lessing starb am 16. März 1910. Emilia Frederika Lessing, geborene Bregartner, lebte nach seinem Tod noch zwölf Jahre. Sie starb am 24. März 1922. Sie war eine großartige Frau.

Nachwort
    Anfang 2012 bekam ich eine E-Mail. E-Mails bekomme ich öfter, aber diese war aus Australien von einer Robyn Jessiman. Sie sei eine Nachfahrin von der Familie te Kloot, sie beschäftige sich mit Genealogie und habe (Google sei Dank) herausgefunden, dass ich Bücher über Anna te Kloot (Die Frau des Seidenwebers, Die Seidenmagd) geschrieben habe.
    Nun wollte sie wissen, wie viel von dem Buch wahr und wie viel erfunden sei.
    Wie immer in meinen historischen Romanen ist es beides. Ich habe das Tagebuch des Abraham ter Meer als Grundlage der Geschichten genommen, habe viel recherchiert und viele Fakten eingefügt. Aber es ist ein Roman, eine Fiktion. Gedanken, Gefühle und anderes habe ich erfunden.
    Ein reger Mailaustausch folgte, der bis heute anhält. Wann denn die te Kloots nach Australien gekommen seien, wollte ich wissen, und da nahm diese Geschichte ihren Anfang.
    Robyn berichtete mir von Johannes te Kloot und seinem Bruder Rudolph – der 1880 nach Sydney auswanderte und 1882 Wilhelmine Lessing geheiratet hatte.
    Lessing?
    O ja, Minnies Vater war Carl Gotthold Lessing, der Großneffe des Dichters.
    Aha. Spannend. Aber es wurde noch besser. Carl Gotthold Lessing hatte 1856 Emilie Frederika Pactecia Bregartner geheiratet – Großmutter Lessing. Eine bemerkenswerte Frau, schrieb mir Robyn. Und dann erzählte sie mir von Großmutter Lessing, ihrer Urgroßmutter. Sie ist mit ihrem Mann auf große Fahrt gegangen, hat vier ihrer neunKinder auf See zur Welt gebracht und ist mit Mann und Kindern in fast allen Gewässern der Erde unterwegs gewesen.
    Eine Frau und Kinder an Bord eines Hochseeseglers? Damals? Ich konnte es kaum glauben. Aber es stimmte.
    Robyn schickte mir Dokumente, Fotos, Briefe, Berichte und vieles mehr über Großmutter Lessing und ihre Familie. 1864 nahmen sie und ihr Mann Carl Gotthold die australische Staatsbürgerschaft an.
    Robyn, fragte ich, darf ich ein Buch über Großmutter Lessing schreiben?
    Nur zu!, antwortete sie.
    Und so begann das also.
    Ein Buch, auch wenn man viele Fakten hat, ein Roman, ist auch Fiktion. Manches kann man nicht mehr herausfinden, manches bleibt im Dunkeln, manches muss man ein klein wenig verändern, damit die Geschichte spannend bleibt.
    Fakt ist – Emilie Bregartner, die ich Emilia (Emma) genannt habe, wurde am 9. April 1836 in Othmarschen geboren. 1842 kam ihr Bruder Julius zur Welt. 1844 wanderten ihre Eltern Martin und Anna mit dem kleinen Julius nach England aus, Emilia blieb in Hamburg bei Verwandten. Warum das so war, weiß ich nicht.
    Bregartners hatten tatsächlich eine Werft, sie waren Schiffsbauer.
    Carl Gotthold Lessing ließ die »C. F. Lessing« in Hamburg bauen. Wie er Emilie getroffen hat, weiß ich nicht, aber ich konnte es mir gut ausmalen.
    Am 9. November 1856 heirateten Carl und Emilie in Hamburg, sie ging mit ihm auf große Fahrt, brachte gut neun Monate später ihr erstes Kind