Die Bibel für Eilige
Worte und ganze Sätze immer wieder laut vorgelesen. Auch Klang
ist Sinn.
Wie
es sich anhört, entscheidet mit darüber,
ob
es gehört wird. Und die Stimme ist die Seele des Wortes. Das Wort des Evangeliums ist eine lebendige Stimme.
Die Bibel ist ein Volksbuch, ein Buch für das Volk, das vom Volk gehört, gelesen und verstanden werden soll. Gleichzeitig
ist die Bibel ein Schatz, der gehoben werden will. Dazu braucht es Mittler und Mittel. Ohne Martin Luthers Sprachleistung
gäbe es keine gemeinsame, keine so reiche deutsche Sprache. Und ohne Gutenbergs technische Leistung gäbe es keine so große
Verbreitung.
Auch heute nutzen wir zeitgemäße Mittel, um ein Wort zu verbreiten, auf das es ankommt.
Evangelium heißt zu deutsch: gute Nachricht. Luther übersetzt schärfer, zupackender, aufregender: gute Botschaft, gute Märe,
gute neue Zeitung, gute Neuigkeit, gut Geschrei – »davon man singet, saget und fröhlich ist«.
Wir sehen auch, »dass Gott nicht dringet, sondern freundlich locket und spricht: Selig sind die Armen.« Luther meinte, man
ginge am besten an diese Texte heran wie ein Kind. »Ich habe mich bemüht, und zwar mit allem Eifer, und doch habe ich nicht
ein einziges Wort aus der ganzen Schrift |13| völlig ergriffen. Darum bin ich noch nicht aus der Kinderlehre herausgekommen, bewege vielmehr täglich im Geiste das, was
ich weiß, und suche den rechten Verstand der heiligen zehn Gebote des christlichen Glaubens. Und zwar verdrießt es mich einigermaßen,
dass ich, ein so großer Doktor, ich mag wollen oder nicht, mit aller meiner Gelehrsamkeit bei der Gelehrsamkeit meines Hänschens
und Magdalenchens bleiben muss und in diese selbige Schule gehen, in der sie aufgebracht werden. Denn wer von allen Menschen
versteht in seinem vollen Umfange, wie es verstanden werden muss, nur
dieses
Wort Gottes: Vater unser, der du bist im Himmel –? Denn wer diese Worte im Glauben versteht: der Gott, welcher Himmel und
Erde in seinen Händen hat, ist unser Vater, der schließt sofort mit völligem Herzensvertrauen, weil dieser Gott mein Vater
ist und ich sein Kind bin. Wer wird mir schaden können?«
Nur in den höchsten Tönen kann Luther von der Weisheit und Kraft dieser wunderbaren Schrift reden, »dass sie sei, wie ein
sehr großer weiter Wald, darinnen viel und allerlei Bäume stünden, davon man könnte mancherlei Obst und Früchte abbrechen.«
Denn man hätte in der Biblia reichen Trost, Lehre, Unterricht, Vermahnung, Warnung und Verheißung. Aber es sei kein Baum in
diesem Walde, daran er nicht geklopft und ein paar Äpfel oder Birnen davon gebrochen und abgeschüttelt hätte. »Die Bibel ist
ein Buch, mit welchem Gott die Welt irre macht. Aber es ist wunderbar, dass Gott dieses Buch behütet hat, wie auch seine Kirche.«
Wir werden es nie begreifen, es sei denn, wir werden von diesem Wort ergriffen. Und wir werden niemals Herren, sondern immer
Schüler bleiben. Martin Luther hat am Ende seines reichen Lebens seine »Lebensernte« in Sätze getrösteter Demut gefasst:
»Die Hirtenlieder Vergils kann niemand verstehen, er sei |14| denn fünf Jahre Hirte gewesen. Die Vergilschen Gedichte von der Landwirtschaft kann niemand verstehen, er sei denn fünf Jahre
Ackermann gewesen.
Die Briefe des Cicero kann niemand verstehen, er habe denn 25 Jahre in einem großen Gemeinwesen sich bewegt. Die Heilige Schrift
meine niemand genugsam geschmeckt zu haben, er habe denn 100 Jahre lang mit Propheten wie Elias und Elisa, Johannes dem Täufer,
Christus und den Aposteln die Gemeinde regiert. Versuche nicht diese göttliche Aeneis 1* , sondern neige dich tief anbetend vor ihren Spuren! Wir sind Bettler, das ist wahr.«
Das sind die letzten überlieferten Worte des großen Sprachschöpfers, dieses großen Entdeckers des innersten Sinns der Heiligen
Schrift: »Was Christum treibet«, das gilt. Das Evangelium ist eine Neuigkeit, die nicht vergeht wie die Zeitung von gestern.
Das ist keine BILD, aber eine bildhafte Zeitung – ein Sich-Entdecken, ein Sich-Entwerfen, ein Über-Sich-Hinauswachsen, in
Bildern, durch Bilder anschaulich gemacht. Diese Bilder sind und bleiben geerdet. Um Kerzen geht es. Um Fischernetze, um Perlen,
um Sauerteig, den verlorenen Groschen, das verirrte, das wiedergefundene Schaf.
Das Neue Testament – Wort für Wort in einer Sprache, die so kraftvoll wie poetisch, so bildhaft wie konkret, so musikalisch
wie dramatisch, geheimnisvoll wie
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