Die Braut des Wuestenprinzen
Elenors Hand. „Konntest du nicht einen anderen schicken, Bertram? Wo musste er überhaupt so dringend hin?“
„Er handelt sich nicht um eine diplomatische Angelegenheit“, erwiderte Bertram freundlich. „Es ist etwas Privates. Er hat eine Nachricht erhalten und ist sofort abgereist.“
Plötzlich lief es Elenor eiskalt den Rücken hinunter. Sie sah den Botschafter direkt an.
„Wirklich?“, fragte sie ruhig. Dabei hätte diese neue Information sie völlig aus der Fassung bringen müssen. Denn allein schon der Gedanke, er wäre im Auftrag der Botschaft abgereist, war verwunderlich genug. Jetzt fand sie seine Abwesenheit nahezu unerklärlich. Gabriel hatte ihr gesagt, dass er niemanden in Kaljukistan kannte. „Ich wusste nicht, dass Gabriel außerhalb dieses Kreises jemanden kennt“, raunte sie dem Botschafter leise zu.
„Ja, mich hat es auch überrascht. Aber er muss denjenigen ziemlich gut kennen, sonst wäre er nicht so überstürzt aufgebrochen.“
„Wie schrecklich, dass Gabriel ausgerechnet jetzt wegmusste“, sagte eine Frau, die ein paar Jahre älter war als Elenor, als Bertram sie Elenor vorstellte. „Aber morgen wird er da sein. Und das ist alles, was zählt.“
„Ich habe gehört, Sie sprechen fließend Kaljukisch“, wandte sich kurz darauf ein Australier an Elenor, der selbst erst vor wenigen Tagen angekommen war. „Wie kommt das?“
„Vor dem Krieg habe ich ein Jahr hier gelebt“, antwortete sie. „Ich habe meinen Hochschulabschluss hier gemacht.
„Tatsächlich? In Kaljukistan?“
Sie zögerte. Eigentlich hätte sie sich denken können, dass sie heute alles Mögliche gefragt werden würde, und sich passende Antworten zurechtlegen sollen. Aber sie hatte angenommen, dies alles vorher noch einmal mit Gabriel besprechen zu können.
„Ja, ich war an der Universität von Shahriallah“, erklärte sie ausweichend. „Kurz nach der Unabhängigkeit Kaljukistans hat die Universität von London ein Austauschprogramm eingerichtet. Allerdings lief es nur wenige Jahre, und dann kam der Krieg. Ich hatte das Glück, an dem Programm teilnehmen zu können.“
Glück? Hatte sie wirklich „Glück“ gesagt? Wenn sie damals getan hätte, was man an der Universität von ihr erwartete, hätte sie es als Glück bezeichnen können. Aber so?
Kein einziges Seminar hatte sie an der Universität von Shahriallah besucht. Nicht einen Tag hatte sie in Kaljukistan verbracht. Aber sie hatte fließend Kaljukisch gelernt, das stimmte. Trotz der sehr unterschiedlichen Geschichte Kaljukistans und Parvans waren die Sprachen einander sehr ähnlich.
Als Elenor in ihr Schlafzimmer zurückkam, überfiel sie bleierne Müdigkeit. Erst jetzt merkte sie, dass sie seit fast vierundzwanzig Stunden wach war. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und fühlte sich, als müsste sie eine ganze Woche schlafen.
Seufzend drehte sie den Schlüssel im Schloss. Gabriel fehlte ihr. Zu gern hätte sie sich jetzt an ihn gekuschelt und sich von ihm versichern lassen, dass er alles unter Kontrolle hatte. Stattdessen war er aus geheimnisvollen Gründen abgereist, und niemand wusste warum.
Kurz kam ihr der Gedanke, dass er möglicherweise auch morgen nicht zurückkehren würde. Vielleicht hatte er es sich anders überlegt und mochte es ihr nicht sagen? Energisch schüttelte sie den Kopf. Natürlich wäre er morgen da. Wenn es einen Mann gab, auf den man sich verlassen konnte, dann war es Gabriel. Schon einmal hatte sie sich in jemandem getäuscht, aber bei Gabriel war sie sich sicher. Selbst wenn er es sich anders überlegt hätte, wäre er viel zu ehrenhaft, um es sich so leicht zu machen.
Im Zimmer war es völlig dunkel. Irritiert tastete Elenor nach dem Lichtschalter. Sie war sicher, beim Weggehen das Licht angelassen zu haben. Wahrscheinlich war die Birne kaputtgegangen, sagte sie sich. Aber wo war der Schalter?
Ein kühler Windzug streifte Elenor. Sie fröstelte. Ganz sicher hatte sie vorhin das Fenster geschlossen. Denn Margaret hatte sie noch gewarnt, da die starken Winde um diese Jahreszeit viel Sand und Staub hineinwehten. Eine plötzliche Vorahnung erschreckte sie. Endlich fand sie den Schalter und knipste das Licht an.
Ein Vorhang bauschte sich in dem Luftzug von der offenen Balkontür. Sonst war nichts verändert und keine Menschenseele zu sehen.
Erst ein paar Sekunden später entdeckte sie den Zettel auf ihrem Kopfkissen.
3. KAPITEL
Schon bevor Elenor den Zettel berührte, wusste sie, dass etwas auf
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