Die Elfen
Blick seines Gefährten.
Noroelles Worte hallten in Nuramons Gedanken nach. Sie würde mit Farodin ins Mondlicht gehen? Und er würde hier allein zurückbleiben, auf immer von Albenmark getrennt? Er würde gefangen sein in einer riesigen Welt. Seine Gefühle übermannten ihn. Verzweiflung und Angst trieben ihm die Tränen in die Augen.
Noroelle trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es tut mir Leid, Nuramon«, sagte sie leise.
Es fiel ihm schwer, sie anzuschauen. Als er aber aufblickte und in ihre blauen Augen sah, kehrten all die Erinnerungen an die Tage an ihrem See zurück. Er hatte zwanzig Jahre mit ihrer Zuneigung gelebt, und er hatte seine Liebste gemeinsam mit Farodin gerettet.
Noroelle wischte ihm die Tränen fort. »Ich bin nicht dein Schicksal, Nuramon. Ich bin nicht dein Weg ins Mondlicht. Ich liebe dich, wie ich Farodin liebe. Doch du bist nicht meine Bestimmung. Und es schmerzt mich zu wissen, dass du diesen ganzen Weg auf dich genommen hast, um am Ende allein dazustehen. Du hast mir von Obilee erzählt. Und ich danke dir für den Augenblick, den du ihr geschenkt hast, und für die süßen Worte, die du für sie gefunden hast. Es ist wie ein Dolch in meinem Herzen, zu wissen, wie sehr sie dich liebt und vermisst. Nun trennen euch Welten, die nie wieder zusammenfinden werden. Und das alles meinetwegen! Das kann ich nie wieder gutmachen.«
Nuramon strich Noroelle durchs Haar. »Das hast du bereits getan. Allein dich noch einmal sehen zu dürfen war alles wert, was ich durchlebt habe.«
»Du musst auf dem Pfad gehen, der nur dir bestimmt ist. Schau in dich hinein! Dann wirst du sehen, dass es dein Schicksal ist, durch die Jahrhunderte zu wandern. Nicht wir drei sind die letzten Albenkinder in dieser Welt, sondern du wirst es sein.«
Sie küsste ihn und streichelte ihm über die Wangen. Dann hauchte sie: »Bald werde ich nur noch Erinnerung sein, genau wie alles andere.« Sie küsste ihn erneut. »Ich liebe dich. Vergiss das nie, Nuramon!«
Sie löste sich von ihm und wandte sich an Farodin. »Du hast so lange auf mich gewartet«, sagte sie. »Und nun bin ich erwacht und erinnere mich an alles, was einst gewesen ist.« Sie schaute auf. »Da! Das Ende ist nahe! Der Mond scheint hell! Und ich spüre, wie er uns ruft, Farodin. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Komm!« Sie fasste ihn bei den Händen und zog ihn auf die Beine.
Nuramon erhob sich ebenfalls. Nun wusste er, wie sich Obilee gefühlt hatte. Auch er hatte ihr gesagt, sie sei nicht seine Bestimmung. Und sie hatte ihn gehen lassen. Das Gleiche musste er nun tun.
Farodin trat mit Schuldgefühlen vor Nuramon. Obwohl er am Ziel seines Lebens war, schmerzte es ihn, seinen Freund so traurig zu sehen und einsam zu wissen. »Ich wünschte, es müsste nicht hier und jetzt enden. Ich wünschte, wir hätten ein Jahrhundert, in dem wir drei dieses Land dort draußen erkunden könnten.«
»Schau dir Noroelle an«, entgegnete Nuramon. »Und dann sage mir, dass du dir irgendetwas anderes wünschst als das, was euch bevorsteht.«
»Du hast Recht. Doch ich werde dich vermissen.«
Nuramon reichte Farodin die Hand zum Kriegergruß.
Farodin schlug ein. »Leb wohl, Nuramon! Denk immer daran, was uns verband.«
»Ich werde es niemals vergessen«, erwiderte er.
»Wir werden uns einst im Mondlicht sehen. Da werden Noroelle und ich auf dich warten. Und ich hoffe, Mandred ist bereits dort.«
Nuramon musste schmunzeln. »Wenn es so ist, dann sage ihm, dass seine Tat die Firnstayner zu Albenkindern machte.«
Sie umarmten sich.
Dann kam Noroelle und schloss ihrerseits Nuramon in die Arme. »Eine Reise endet hier, eine neue beginnt. Für uns alle! Leb wohl, Nuramon!«
Noroelle und Farodin küssten sich, und Nuramon bemerkte, wie sich etwas veränderte. Er wich zurück und betrachtete seinen Freund und seine Liebste. Sie umfingen und küssten einander. Und wie er sie betrachtete, wurde ihm klar, dass Noroelle Recht hatte. Farodin war die richtige Wahl. Fast war es ihm, als erwachte er aus einem langen, süßen Traum.
Blütenduft wehte über die Lichtung. Nuramon sah, wie sich Silberschein verbreitete und Farodin und Noroelle umhüllte. Sie lächelten ihm entgegen und wirkten wie Lichtgestalten, wie höhere Wesen, wie Alben. Dann vergingen sie mit allem, was sie am Leib trugen. Sie verblassten einfach vor dieser Welt; ebenso, wie Albenmark vor seinen Augen verblasst war. Zurück blieb nur er.
Er war nun allein. Und doch konnte er nicht weinen.
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