Die Entscheidung der Hebamme
immer noch in Trauer um einen Schmiedegesellen, in den sie sich verliebt hatte, der aber an einem Fieber gestorben war, gegen das auch Marthe nichts hatte ausrichten können. Seitdem hatte Marie alle Werbungen abgelehnt und Christian gebeten, sie trotz ihres Alters noch nicht zu verheiraten. Dabei wartete jedermann im Dorf darauf, dass sie nach der Hochzeit ihrer Schwester Johanna mit dem abenteuerlustigen Kuno dessen besten Freund Bertram heiraten würde. Zu unzertrennlich schienen die vier. Schließlich gehörten sie zu denjenigen, die einst vor zwölf Jahren als Erste mit dem Siedlerzug nach Christiansdorf gekommen waren.
Kuno und Bertram wurden später auf ihren brennenden Wunsch hin zu Wachen ausgebildet – von Christian persönlich, der die beiden für ihren Mut und ihre Loyalität schätzte und sich verantwortlich für sie fühlte. Bald hatte Bertram in aller Form um Marie geworben, ohne bisher ein »Ja« erhalten zu haben.
»Mir geht es gut.« Auf einmal zog flammende Röte über Maries Wangen. Doch Marthe blieb keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn gerade begann Christian, der versammelten Burgbesatzung zu verkünden, dass von nun an Markgraf Ottos jüngerer Sohn Dietrich bei ihnen leben und zum Ritter ausgebildet werden würde.
Bald bewegte sich die ganze Gesellschaft unter großem Trubel zur Halle.
Clara griff nach Marthes Hand und zog sanft daran. Marthe begriff, dass ihr ihre Tochter etwas Vertrauliches zuflüstern wollte, etwas, das so wichtig war, dass sie es nicht länger für sich behalten konnte.
Sie beugte sich herab.
»Er mag Marie«, flüsterte die Kleine, die mit ihren rotbraunen Haaren und den graugrünen Augen das Abbild ihrer Mutter war, während Daniel ebenso wie sein großer Bruder eher nach Christian kam. Verblüfft sah Marthe in die Richtung, in die Clara unauffällig mit dem Kinn gewiesen hatte.
Dort ging Dietrich. Sie waren doch gerade erst angekommen! Aber Clara hatte über ihre Jahre hinaus feine Sinne. Und richtig, Dietrich starrte unentwegt auf ihre jüngere Stieftochter. Marie hingegen fing seinen Blick auf, senkte rasch die Lider und errötete erneut.
Oje, das roch nach Ärger! Sollte sich die sonst so zurückhaltende Marie Hals über Kopf verliebt haben, ebenso wie Dietrich?
Das konnte nichts Gutes bringen. Es war undenkbar, dass der Sohn des Markgrafen eine Bauerntochter heiratete. Ehen für Adlige von seinem Rang wurden ausnahmslos nach politischen Erwägungen geschlossen, nicht aus Neigung, und schon gar nicht mit geringer Geborenen. Wenn Clara mit ihrer Beobachtung recht haben sollte, musste sie unbedingt mit Christian reden. Sosehr sie Marie Liebesglück wünschte – weder Christian noch sie selbst konnten dulden, dass Marie die Gespielin des jungen Markgrafen würde. Denn spätestens dann, wenn Dietrich eine Fürstentochter heimführte, würden sie Marie mit jemandem verheiraten müssen, der in Kauf nahm, dass seine Frau nicht mehr unschuldig in den Stand der Ehe trat. Doch das würde er Marie ein Leben lang spüren lassen.
Bei allen Heiligen, das Mädchen war sechzehn und würde bald als alte Jungfer gelten! Sie sollten sie schnellstmöglich mit Bertram verheiraten, denn der würde alles dafür tun, um Marie glücklich zu machen.
Doch an diesem Abend kam Marthe nicht dazu, mit Christian über Marie zu sprechen. Als sie endlich zum ersten Mal nach der Rückkehr vom Hoftag wieder allein in ihrer Kammer waren, um sich für die Nacht auszukleiden, überkam sie eine Schwermut, die sie nicht aus ihrem Inneren verbannen konnte, so gern sie es auch wollte.
Dabei war sie so erleichtert, der höfischen Gesellschaft entkommen zu sein, zu der sie sich nach wie vor innerlich nicht zugehörig fühlte. Endlich war sie wieder zu Hause, in vertrauter Umgebung und unter vertrauten Menschen. Und doch kam ihr jetzt schon alles wie ein großer Abschied vor.
Als sie Christians Blick spürte, senkte sie die Lider, um ihre Gedanken zu verbergen.
Sie wollte nicht darüber nachsinnen, ob Christian lebend und gesund aus dem Kampf zurückkam, er und die anderen Menschen, die ihr am Herzen lagen.
Sollte sie ein halbes Jahr oder wer weiß, wie lange es dauern mochte bis zum Feldzug, schon in Trauer verbringen, obwohl ihr Liebster noch an ihrer Seite war? Sollte sie ihn mit ihren Ängsten belasten, noch bevor er den Befehl zum Aufbruch mit seinen Bewaffneten erhalten hatte?
Der Tod konnte jeden von ihnen jeden Tag ereilen, nicht nur im Feld. Außerdem gab es
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