Die Erben von Hammerfell - 5
anderen lassen, und nirgendwo in den Hundert Königreichen soll ein einziger Mann vom Geschlecht der Storns am Leben bleiben, gelobte er. Sie überquerten die alte Zugbrücke und ritten in das Tor ein, das sich erst vor kurzem hinter ihnen geschlossen hatte. Sie trugen Markos in die Große Halle und legten ihn auf ein rauhes Sofa. Rascard blickte wild um sich, rief laut nach den Dienern und befahl: »Holt damisela Erminie.«
Die Haushalts -leronis war jedoch schon mit einem bestürzten Aufschrei in die Halle geeilt, kniete auf den kalten Steinen des Eingangs und beugte sich über den Verwundeten. Herzog Rascard erklärte schnell, was nötig war, aber auch die junge Zauberin hatte ihr ganzes Leben im Bann dieser Blutrache verbracht. Das schmächtige Mädchen war eine Cousine der vor langem verstorbenen Frau des Herzogs und diente ihm auf Hammerfell seit seiner Kindheit.
Erminie zog den blauen Sternenstein aus dem Ausschnitt ihres Kleides, konzentrierte sich auf ihn und fuhr mit den Händen an Markos’ Körper entlang, ohne ihn zu berühren. Etwa einen Zoll von der Wunde entfernt hielt sie an, die Augen ins Leere gerichtet. Rascard sah wie erstarrt zu.
Endlich erhob sie sich. Ihre Augen standen voller Tränen.
»Die Blutung ist gestillt; er atmet noch«, berichtete sie. »Mehr kann ich im Moment nicht tun.«
»Wird er am Leben bleiben, Erminie?« fragte der Herzog.
»Ich weiß es nicht, aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit ist er noch am Leben. Ich kann nur sagen, es hegt in den Händen der Götter. Wenn sie weiterhin gnädig sind, wird er es überstehen.«
»Ich bete darum. Wir sind zusammen aufgewachsen, und ich habe so viel verloren…« Dann stieß Rascard einen lange zurückgehaltenen Wutschrei aus. »Ich schwöre es bei allen Göttern! Wenn er stirbt, wird meine Rache…«
»Still!« befahl Erminie streng. »Wenn du brüllen mußt, Onkel, dann tu es dort, wo du den Verwundeten nicht störst.«
Herzog Rascard fügte sich mit rotem Kopf. Er ging zum Kamin, ließ sich in einen tiefen Sessel fallen und wunderte sich über die Gefaßtheit und ruhige Tüchtigkeit dieses doch noch so jungen Mädchens.
Erminie war nicht älter als siebzehn, schlank und zart und hatte Haare von der Farbe frischgemünzten Kupfers, das sie als Telepathin auswies, und tiefliegende graue Augen. Sie folgte dem Herzog ans Feuer und sah ihm gerade ins Gesicht.
»Wenn er am Leben bleiben soll, muß er Ruhe haben … und auch du mußt ihn in Ruhe lassen, Onkel.«
»Ich weiß, meine Liebe. Du hattest recht, mich zu schelten.«
Rascard, der dreiundzwanzigste Herzog von Hammerfeil, war über vierzig und stand in der vollen Kraft des mittleren Alters. Sein Haar, einst dunkel, war eisengrau, seine Augen zeigten das Blau von Kupferspänen im Feuer. Er war kräftig und muskulös. Sein wettergegerbtes Gesicht und die knotigen Muskeln verrieten das Erbe des zwergenhaften Schmiedevolks. Er sah wie ein früher einmal aktiver Mann aus, der mit dem Alter und der Untätigkeit ein bißchen weich geworden war. Sein strenges Gesicht wurde freundlicher als gewöhnlich, wenn er das junge Mädchen anblickte. Erminie war seiner Frau, die er vor fünf Jahren verloren hatte, nicht unähnlich. Alaric, ihr einziger Sohn, war damals erst dreizehn gewesen. Die beiden waren beinahe wie Bruder und Schwester erzogen worden, und der Herzog war einem Zusammenbruch nahe, als er daran dachte, wie sich die beiden rothaarigen Köpfe – kurzgeschnittene Locken, lange Zöpfe – gemeinsam über ein Schulbuch gebeugt hatten.
»Hast du es gehört, Kind?«
Die junge Frau senkte die Augen. In einem Umkreis von tausend Meilen hatte niemandem, der auch nur eine Spur von telepathischer Wahrnehmungsfähigkeit besaß, der qualvolle Austausch entgehen können, durch den der Herzog vom Geschick seines Sohnes und seines alten Dieners erfahren hatte, erst recht nicht einer leronis, die im Gebrauch der parapsychischen Kräfte ihrer Kaste gründlich ausgebildet worden war. Aber sie schwieg darüber.
»Ich glaube, ich würde es wissen, wenn Alaric tot wäre«, sagte sie, und das harte Gesicht des Herzogs wurde weicher.
»Ich bete, daß du recht hast, chiya. Magst du zu mir in den Wintergarten kommen, sobald du Markos allein lassen kannst?«
»Ja, Onkel.« Sie wußte, was er wollte. Von neuem beugte sie sich über den Verwundeten, ohne Herzog Rascard, der die Halle verließ, noch einmal anzusehen.
Der Wintergarten, eine in jedem Haushalt des Gebirges zu findende Einrichtung, lag hoch oben in der
Weitere Kostenlose Bücher