Die Evangelistin
Kreuzigung oder der ›Ausgießung des Heiligen Geistes‹ an die Jünger (Apostelgeschichte 2,1–4).
Alter Jesu zur Zeit der Passion. Ein wahrscheinliches Datum der Geburt ist das Jahr 6 v u. Z. (Herodes der Große lebte noch). Der Census und die blutigen Aufstände in Galiläa fanden statt, als er 12 Jahre alt war. Wenn Jesus im Oktober 35 starb, war er 41 Jahre alt. Vergleiche Joh 8,57, wo Jesus ›noch keine fünfzig Jahre‹ alt genannt wird. Wenn Jesus jünger gewesen wäre, hätte der Evangelist geschrieben: ›noch keine vierzig Jahre‹. 40 ist eine oft verwendete symbolische Zahl: Die Sintflut dauerte vierzig Tage und vierzig Nächte, Jesus wanderte vierzig Tage durch die Wüste, bevor er versucht wurde, Moses war vierzig Tage und vierzig Nächte auf dem Berg Sinai, als Gott zu ihm sprach, und das Volk Israel zog vierzig Jahre im Sinai umher, bevor es das Gelobte Land betrat, König David regierte ebenso vierzig Jahre wie sein Sohn Salomo. Wenn der Evangelist also ›fünfzig Jahre‹ schrieb, dann meinte er das wörtlich.
Paulus. Der Apostel schrieb (Brief an die Galater 1,1), dass er nicht durch einen Menschen (gemeint ist Jakob als Führer der nazoräischen Gemeinde in Jerusalem), sondern ›durch Jesus Christus und Gott‹ als Apostel eingesetzt worden sei. Er ordnete sich nie Jakob als Führer der Nazoräer unter, und er war ihm, so glaubte er, auch keine Rechenschaft über seine Lehre (Heidenmission) schuldig. Und trotzdem beteuerte er immer wieder, er ›lüge nicht‹ – was bedeutet, dass er von der nazoräischen Gemeinde (von Jakob oder von Simon Petrus?) in Jerusalem als Lügner bezeichnet worden war. Die Beurteilung der Mitglieder der Familie Jesu in seinen Briefen ist polemisch, sarkastisch und beleidigend. Paulus verkündete nach seinen eigenen Worten ›einen anderen Jesus und ein anderes Evangelium‹ (2. Brief an die Korinther 11,4) – an der Lehre des Rabbi Jeschua war er nicht interessiert.
Im Gegensatz zur paulinischen, heidenchristlichen (römisch-katholischen/griechisch-orthodoxen) Lehre war das jakobinische, judenchristliche Nazoräertum eine fremdenfeindliche (Beschneidung, Einhaltung der jüdischen Speisegebote, keine Heidenmission), anti-römische, national-jüdische, messianische, apokalyptische Lehre gesetzestreuer Juden (›Eiferer für das Gesetz‹) mit pharisäischer und zelotischer Ausdrucksweise.
Pontius Pilatus. Flavius Josephus berichtet über Pilatus’ Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit: Er habe die religiösen Gefühle der Juden mit Füßen getreten (Flavius Josephus, Der jüdische Krieg 2,169–177 und Jüdische Altertümer 18,55–62). Bei seinem Amtsantritt im Jahr 26 wäre es beinahe zu einem Massenmord an Juden gekommen. Flavius Josephus berichtet von einem Massaker in Jerusalem, das nicht identisch ist mit dem durch den Evangelisten Lukas überlieferten Mord an galiläischen Pilgern im Tempel (Lk 13,1). Der jüdische Philosoph Philo von Alexandria beschreibt Pilatus als grausamen und unnachgiebigen Menschen ohne Gewissensbisse und wirft ihm Bestechlichkeit, Gewalttätigkeit, Räubereien, Misshandlungen, Demütigungen, Hinrichtungen ohne Gerichtsurteile und unerträgliche Grausamkeit vor (Philo von Alexandria, De Legatione ad Gaium 38). Die Schädigung römischer Interessen durch Pilatus, die Verletzung der von Rom anerkannten jüdischen Privilegien und seine willkürliche Amtsführung führten im Jahr 36 zu seiner Amtsenthebung.
Prozess vor dem Sanhedrin. Die vier Evangelisten berichten von einem jüdischen Prozess (Mt 26,57–68, Mk 14,53–65, Lk 22,54–71, Joh 18,12–24 und 18,28), widersprechen sich jedoch in ihren Beschreibungen der Ereignisse und deren Ablauf in der Nacht der Festnahme Jesu – die Berichte sind nicht in Einklang zu bringen. Die Evangelisten sind sich nicht einmal darüber einig, ob es ein formelles Urteil des Sanhedrin über Jesus gegeben hat oder nicht, und falls ja: wie es lautete.
Bei der Frage nach der Historizität des jüdischen Prozesses ist zu bedenken, dass Jesus von Anfang an ein Gefangener der Römer war (siehe Anmerkung Festnahme Jesu ). Die Anklagepunkte im römischen Prozess waren politisch: Anmaßung der Königswürde, Aufruf zur Steuerverweigerung (Mt 22,21, Mk 12,17, Lk 20,25 – der berühmte Spruch ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt Gott, was Gottes ist‹ ist kein Aufruf, die römischen Steuern zu zahlen. Denn der Spruch lautet in Wirklichkeit sinngemäß: ›Gib dem Kaiser zurück , was
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