Die Fährte der Toten
seinem Hocker herunter und stößt fast seinen Kaffeebecher um.
'Was für ein Paket? Nein. Lass es. Rühr es nicht an. Hast du verstanden?'
Keine Antwort. Kyle überlegt nur eine Sekunde, dann geht er mit schnellen Schritten zur Wohnungstür, die sperrangelweit offensteht. Ein schneller sichernder Blick - nichts zu sehen. Keine Spur von Mel. Als hätte der Erdboden sie verschluckt.
'Mel? Hey Mel!'
Sie ist weg. Wahrscheinlich direkt die Treppe runter. Egal. Sein Blick fällt auf den Umschlag, der vor seiner Tür steht. Vorsichtig nimmt Kyle ihn in die Hand und schaut den Hausflur noch einmal in beiden Richtungen hinunter. Immer noch nichts. Ein kalter Hauch lässt ihn frösteln. Kyle zieht den Morgenmantel enger um seine Schultern, verriegelt die Tür und geht in die Küche zurück. An Mel verschwendet er schon keinen Gedanken mehr.
***
Kyle beäugt den Umschlag misstrauisch. Kein Absender, kein Poststempel. Er wiegt ihn in der Hand. Nicht sonderlich schwer. Einen Moment lang ist er unschlüssig, dann reißt er ihn auf. Ein paar eng beschriebene Seiten. Fotos. Ein Flugticket.
Seufzend setzt er sich an seinen Schreibtisch und betrachtet das erste Foto. Eine junge Frau. Schlank, hübsch, Anfang zwanzig. Lange, schwarze zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene Haare. Grüne Augen. Leicht rötlicher Teint. Die Auflösung des Fotos ist nicht optimal, anscheinend wurde es heimlich aufgenommen. Kyle nimmt sich automatisch vor, eine bessere Aufnahme anzufordern oder selber ein paar anzufertigen. Nachdem er sich die Frau auf dem Foto eingeprägt hat, liest er das auf schwerem Büttenpapier handschriftlich verfasste Schreiben.
'Schön, dass du dich unserer Sache annimmst, Kyle.
Der Name des Mädchens auf dem Foto ist Lee. Ihre Familie wurde unglücklicherweise zu Zeugen eines Drogenhandels. Daraufhin machten sich einige Leute auf den Weg, um die Sache abschließend zu regeln. Die Kleine war damals noch jünger, und sie hatte das Glück, gerade nicht zu Hause zu sein, als die Mörder über ihre Familie herfielen. Anscheinend hat sich dann auch keiner mehr die Mühe gemacht, endgültig reinen Tisch zu machen, und jetzt ist wohl Gras über die Sache gewachsen. Ein Glück für die kleine Lee. Sonst wäre sie jetzt wohl auch schon tot und begraben.
Kommen wir zu deiner Aufgabe. Wir möchten die liebe Lee gerne für unsere Sache gewinnen. Derzeit zieht das Objekt unserer Begierde mit einer Bande von ehemaligen Kriegsknechten herum. Genaueres werden wir dir schon bald durch einen vertraulichen Boten zukommen lassen. Deine Aufgabe ist ganz einfach - finde das Kind und sorge dafür, dass sie unserem Anliegen wohlgesonnen ist. Weitere Details klären wir bei unserem nächsten Gespräch.'
Das ist alles. Keine Unterschrift, keine Namen, keine Kontaktdaten. Ziemlich mau für den Anfang, denkt Kyle. Natürlich, er ist ein Experte, wenn es darum geht, Leute aufzuspüren. Und er hatte noch nie Skrupel, jemanden ans Messer zu liefern, wenn die Bezahlung stimmte, auch wenn er diesbezüglich immer vorsichtig genug gewesen war, um nicht seinen Job in der Firma zu riskieren. Aber ein bisschen mehr an Informationen dürfte es selbst für ihn schon sein. Er verzieht den Mund und nimmt sich die Dossiers über die sogenannten ‚Kriegsknechte‘ vor.
Als erstes wäre da Peter Emge, Spitzname 'Hammerfist'. Kyle betrachtet das Foto, auf dem ihn ein nachdenklich wirkender Mann anschaut. Der Bursche sieht auf den ersten Blick gar nicht so aus wie ein Schläger. Tja, wie man sich doch täuschen kann, denkt er – denn Hammerfist ist ein Killer, der nicht die geringsten Probleme damit hat, Leute in den Dauerschlafsaal zu verlegen.
Die nächste Type heißt Elton Bennings. Ein stämmiger Fettsack, der ein Kopftuch nach Piratenart trägt und eine runde Nickelbrille auf der Nase hängen hat, die ihn ein wenig wie einen Intellektuellen aussehen lässt. Spitzname 'Medizinmann'. Kyle schmunzelt. Was das wohl wieder soll. Egal, weiter.
Nummer drei ist Jerry Roth. Ein hagerer Typ mit schütteren blonden Haaren und einer Spiegelsonnenbrille, die vor hundert Jahren bestimmt mal cool war. Die rechte Hand von Hammerfist und die Nummer Zwei in der Gang, um die es sich bei dieser Bande ganz offensichtlich handelt.
Was die Gemeinsamkeit dieser Herrschaften angeht – sie waren allesamt mal in der gleichen Spezialeinheit bei den Marines, und mit selbiger in einem richtig üblen Schlamassel. Aus
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