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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Studiengang in den Geisteswissenschaften und strebt damit nicht nur danach, den Studenten solide Grundkenntnisse im Gebiet ihrer Wahl zu vermitteln, sondern darüber hinaus einen Einblick in alle Disziplinen westlicher Kunst, Zivilisation und Gedankenwelt. Wir hoffen das Individuum dabei nicht nur mit Fakten auszustatten, sondern mit dem Grundstock der Weisheit.«
    Hampden College, Hampden, Vermont. Schon der Name klang wie eine strenge, anglikanische Kadenz, zumindest in meinen Ohren mit ihrer hoffnungslosen Sehnsucht nach England und ihrer Taubheit für die süßen, dunklen Rhythmen kleiner Missionsstädte. Lange Zeit betrachtete ich das Bild eines Gebäudes, das sie »Commons« nannten. Es war eingetaucht in ein schwaches, akademisches Licht – anders als Plano, anders als alles, was ich je gekannt hatte –, ein Licht, das mich an endlose Stunden in staubigen Bibliotheken denken ließ, an alte Bücher und an Stille.
    Meine Mutter klopfte an die Tür und rief meinen Namen. Ich antwortete nicht. Ich riß das Anforderungsformular hinten aus der Broschüre und fing an, es auszufüllen. Name: John Richard Papen. Adresse: 4487 Mimosa Court, Plano, Kalifornien. Wünschen Sie Informationen über Möglichkeiten finanzieller Unterstützung? Ja (natürlich). Und ich schickte es am nächsten Morgen ab.
    Die folgenden Monate waren ein endloser, öder Papierkrieg,
immer wieder unentschieden, ein Grabenkampf. Mein Vater weigerte sich, die Anträge auf Studienbeihilfe auszufüllen; in meiner Verzweiflung stahl ich schließlich seine Steuerbescheide aus dem Handschuhfach seines Toyota und machte es selbst. Wieder warten. Dann eine Mitteilung vom Zulassungsdekanat. Es sei ein Vorstellungsgespräch erforderlich, und wann ich nach Vermont fliegen könne? Ich konnte mir den Flug nicht leisten, und das schrieb ich ihnen. Wieder warten, wieder ein Brief. Das College werde mir die Reisekosten erstatten, wenn ihr Stipendienantrag akzeptiert werde. Inzwischen war die Beihilfeberechnung eingetroffen. Der Beitrag, den meine Familie zahlen sollte, war höher, als mein Vater sich angeblich leisten konnte, und er weigerte sich, ihn zu übernehmen. In dieser Art zog sich der Guerrillakrieg über acht Monate hin. Noch heute begreife ich die Kette der Ereignisse, die mich nach Hampden brachte, nicht vollständig. Mitfühlende Professoren schrieben Briefe; Ausnahmen der unterschiedlichsten Art wurden meinetwegen gemacht. Und knapp ein Jahr nachdem ich mich auf den goldbraunen Plüschteppich in meinem Zimmerchen in Plano gesetzt und impulsiv den Fragebogen ausgefüllt hatte, stieg ich mit zwei Koffern und fünfzig Dollar in Hampden aus dem Bus.
    Ich war nie östlich von Santa Fé, nie nördlich von Portland gewesen, und als ich nach einer langen, bangen Nacht, die irgendwo in Illinois begonnen hatte, aus dem Bus stieg, war es sechs Uhr morgens, und die aufgehende Sonne schien auf Berge und Birken und unglaublich grüne Wiesen; und für mich, benommen von der Nacht und der Schlaflosigkeit und drei Tagen auf der Landstraße, war es wie ein Land aus einem Traum.
    Die Wohnheime waren überhaupt keine Wohnheime – jedenfalls nicht Wohnheime, wie ich sie kannte, aus Hohlblocksteinen und mit deprimierendem Neonlicht –, sondern weiße Schindelhäuser mit grünen Fensterläden, die ein Stück weit abseits vom Commons in Ahorn- und Eschenwäldchen standen. Trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß mein eigenes Zimmer, wo immer es sein mochte, irgend etwas anderes als häßlich und enttäuschend sein könnte, und es war fast ein Schock, als ich es das erstemal sah – ein weißer Raum mit großen, nach Norden gerichteten Fenstern, mönchshaft kahl, mit narbigem Eichenholzfußboden und einer schrägen Decke wie in einer Turmstube. An meinem ersten Abend dort saß ich in der Dämmerung auf dem Bett, während die Wände langsam erst grau, dann golden, dann schwarz wurden, und lauschte einer schwindelerregend auf- und absteigenden
Sopranstimme irgendwo am anderen Ende des Korridors, bis das Licht schließlich völlig verschwunden war und der ferne Sopran in der Dunkelheit immer weiter seine Spiralen zog wie ein Engel des Todes, und ich kann mich nicht erinnern, daß ich mich je weiter weg gefühlt hätte von den flach gestreckten Konturen des staubigen Plano als an jenem Abend.
    Die ersten Tage vor Unterrichtsbeginn verbrachte ich allein in meinem weißgestrichenen Zimmer und in den leuchtenden Wiesen von Hampden. Und ich war glücklich in

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