Die großen Erzählungen
Sonntagen. Seinem Stolze schmeichelte es, daß er von einigen »Bundesbrüdern« mit Mizzi gesehen und mit einem vieldeutigen Lächeln begrüßt worden war. Er war fleißig und ausdauernd, und nicht mehr lange dauerte es, und Herr Anton Wanzl war Doktor.
Als »Probekandidat« kam er ins Gymnasium, von den Eltern brieflich bejubelt und beglückwünscht, von den Professoren »wärmstens« empfohlen, von dem Direktor herzlich begrüßt.
Hofrat Sabbäus Kreitmeyr war Direktor des II. k. k. Staatsgymnasiums, ein Philologe von Ruf, mit vielen sogenannten »Verbindungen«, bei den Schülern beliebt, bei Vorgesetzten gut angeschrieben, und verkehrte in der bestenGesellschaft. Seine Frau Cäcilie wußte ein »großes Haus« zu führen, veranstaltete Abende und Bälle, die den Zweck hatten, das einzige Töchterchen des Direktors, Lavinia – wie dieser sie etwas unpassend benannt hatte –, unter die Haube zu bringen. Hofrat Sabbäus Kreitmeyr war, wie die meisten Gelehrten alten Schlages, ein Pantoffelheld, er fand alles für richtig, was seine würdige Gemahlin anordnete, und glaubte an sie wie an die alleinseligmachenden Regeln der lateinischen Grammatik. Seine Lavinia war ein sehr gehorsames Kind, las keine Romane, beschäftigte sich nur mit der antiken Mythologie und verliebte sich nichtsdestoweniger in ihren jungen Klavierlehrer, den Virtuosen Hans Pauli.
Hans Pauli war eine echte Künstlernatur. Das naive Kindergemüt Lavinias hatte es ihm angetan. Er war in der Liebe noch recht unerfahren, Lavinia war das erste weibliche Wesen, mit dem er stundenlang zusammensaß, bei ihr fand er Bewunderung, die ihm sonst nicht sehr oft zuteil wurde; und wenn auch die Hofratstochter nicht schön zu nennen war – sie hatte eine etwas zu breite Stirn und wässerige, farblose Augen –, so konnte man sie doch nicht, schon ihrer schönen Statur wegen, gerade unhübsch nennen. Hans Pauli träumte zudem von einer »deutschen« Frau, hielt viel auf Treue und verlangte, wie die meisten Künstler, ein weibliches Weib, bei dem er seine Launen austoben, aber auch Trost und Erholung finden könnte. Nun schien ihm Fräulein Lavinia dazu am besten geeignet, und da noch um sie der Zauber knospender Jugend wehte, schlug die Künstlerphantasie Herrn Hans Pauli ein Schnippchen, und der angehende Virtuose von Ruf verliebte sich stracks in Fräulein Lavinia Kreitmeyr.
Wie es um die beiden stand, erkannte Herr Anton Wanzl gleich am ersten Abend, den er im Kreitmeyrschen Hause zubrachte. Lavinia Kreitmeyr gefiel ihm nicht im geringsten. Aber der Instinkt, mit dem Vorzugsschüler des Lebens stetsausgerüstet sind, sagte ihm, daß Lavinia eine gar passende Frau für ihn wäre und Herr Hofrat Sabbäus ein noch passenderer Schwiegervater. Diesen kindischen Künstler Pauli konnte man leicht an die Luft setzen. Man mußte es nur geschickt anstellen. Und etwas geschickt anstellen – das verstand Anton.
Herr Anton Wanzl hatte es nach einer halben Stunde herausgefunden, daß Frau Cäcilie die wichtigste Rolle im Hause spielte. Wollte er die Hand des Frl. Lavinia, so mußte er vor allem das Herz der Mutter gewinnen. Und da er sich auf die Unterhaltung älterer Matronen besser verstand als auf die junger Mädchen, so verband er nach der alten lateinischen Regel das dulce mit dem utile und machte den Kavalier der Frau Direktor. Er sagte ihr manche zarte Schmeichelei, die ein Pauli in seiner reinen Torheit Fräulein Lavinia gesagt hätte. Und bald hatte Frau Cäcilie Kreitmeyr den Herrn Anton Wanzl ins Herz geschlossen. Seinem Rivalen Hans Pauli gegenüber benahm sich Anton mit kühner ironisierender Höflichkeit. Dem Musiker verriet sein künstlerisches Feingefühl, mit wem er es zu tun habe. Er, der Tor, das Kind, durchschaute Herrn Anton Wanzl tiefer als alle Professoren und weisen Männer. Aber Hans Pauli war kein Diplomat. Er äußerte Anton Wanzl gegenüber stets unverhohlen seine Meinung. Anton blieb kühl und sachlich, Pauli erhitzte sich, Anton rückte bald mit seiner schweren Rüstung der Gelehrsamkeit ins Feld, gegen solche Waffen konnte Hans Pauli nichts ausrichten, denn er war wie so viele Musiker ohne größeres Wissen, seine schwerfällige Verträumtheit erdrückte in ihm dasjenige, was man in der Gesellschaft »Geist« nennt, und er mußte sich beschämt zurückziehen.
Fräulein Lavinia Kreitmeyr schwärmte zwar für Bach und Beethoven und Mozart, aber als rechte Tochter eines Philologen von Ruf hatte sie eine gleich große Verehrung für die
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