Die heißen Kuesse der Revolution
III. war ihnen gegenüber intolerant.
Es war Zeit, der gesamten britischen Regierung und insbesondere Premierminister William Pitt dem Jüngeren eine Botschaft zukommen zu lassen. Die radikalen Reformer würden sich niemals von der Regierung unterdrücken lassen. Sie würden weiterhin für die Menschenrechte eintreten und die Revolution in Frankreich unterstützen. Und sie würden fortfahren, den Krieg mit der neuen französischen Republik zu verurteilen.
Eine weitere, wenn auch kleinere Zusammenkunft der Reformer sollte in London stattfinden, direkt im Regierungsviertel nahe Whitehall. Julianne hoffte, die Mittel aufbringen zu können, um daran teilzunehmen, aber eine Reise nach London war kostspielig. Aber worauf wollte Tom eigentlich hinaus? „Ich werde meinen Bruder nicht ausspionieren, Tom. Ich kann bloß hoffen, dass du scherzt.“
„Das habe ich doch“, versicherte er ihr schnell, und da sie ihn weiterhin ungläubig musterte, fügte er hinzu, „ich wollte unseren Freunden in Paris schreiben, aber wieso übernimmst du das nicht? Du bist ein viel besserer Wortschöpfer als ich.“
Julianne lächelte und hoffte, dass er sie nicht wirklich dazu auffordern wollte, Lucas auszuspionieren. Denn er war in Wahrheit weder ein Tory noch irgendwie in den Krieg verwickelt. „Das stimmt“, seufzte sie leichthin.
„Setzen wir uns“, sagte er und begleitete sie zu einer der Bänke. „Wir haben noch eine gute Stunde Diskussion vor uns.“
In der nächsten Stunde debattierte die Versammlung über die letzten Ereignisse in Frankreich, über Vorgänge im Unter- wie im Oberhaus des britischen Parlaments sowie den neusten politischen Klatsch aus London. Als das Treffen zu Ende ging, war es beinah schon fünf Uhr nachmittags. Tom brachte sie hinaus. „Ich weiß, es ist noch früh, aber darf ich dich zum Essen einladen?“
Sie zögerte. Auch letzten Monat waren sie nach der Versammlung noch gemeinsam essen gegangen. Aber als er sie anschließend zum Wagen brachte, hatte er sie plötzlich zurückgehalten und sie so angesehen, als ob er sie gleich küssen wollte.
Sie hatte nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollte. Er hatte sie bereits einmal geküsst. Es war ihr nicht unangenehm gewesen, aber auch kaum welterschütternd. Sie mochte Tom sehr, aber ihn zu küssen kam ihr nicht in den Sinn. Julianne war sich sicher, dass Tom sich in sie verliebt hatte, und da sie so viele gemeinsame Interessen hatten, wäre auch sie gern in ihn verliebt. Er war ein guter Mann und ein treuer Freund.
Julianne kannte Tom seit ihrer Kindheit, aber wirklich schätzen gelernt hatten sie einander erst vor zwei Jahren, als sie in Falmouth aufeinandertrafen. Das war der eigentliche Beginn ihrer Freundschaft. Doch ihr wurde immer klarer, dass sie eher schwesterliche und platonische denn romantische Gefühle für ihn empfand.
Nichtsdestotrotz war ein Abendessen mit Tom immer ein Genuss. Beide verstanden es, sich sehr angeregt zu unterhalten. Sie wollte seine Einladung schon annehmen, als sie einen Mann erblickte, der auf seinem braunen Wallach die Straße entlanggeritten kam.
„Ist das Lucas?“, fragte Tom ebenso verblüfft wie sie.
„Das ist er ganz sicher“, sagte sie und lächelte. Lucas war mit seinen achtundzwanzig Jahren sieben Jahre älter als sie und ein großer, muskulöser Mann. Er hatte ein klassisch geschnittenes Gesicht, durchdringende graue Augen und goldblondes Haar. Es gab viele Frauen, die versuchten, seine Aufmerksamkeit zu erregen, doch im Gegensatz zu Jack war Lucas ein Gentleman. Lucas wirkte unnahbar. Er war ein sehr disziplinierter und pflichtbewusster Mann, dem alles daran lag, den Familienbesitz zu erhalten.
Für Julianne war Lucas immer eher Vaterfigur als ein Bruder gewesen. Sie respektierte, bewunderte und liebte ihn sehr.
Lucas brachte sein schäumendes Reittier vor ihr zum Stehen, und ihre Freude, ihn wiederzusehen, schwand dahin. Lucas wirkte grimmig und verbissen. Sie musste plötzlich an das wagemutige Schild hinter ihr denken, das Neuzugänge zu den Friends of the People willkommen hieß. Sie hoffte, dass Lucas es nicht erblickte.
Lucas schwang sich von seinem Rappen. Er trug einen braunen Mantel, eine burgunderfarbene Weste, ein Batisthemd und beige Kniebundhosen. Seine schwarzen Stiefel waren staubbedeckt, und sein Haar war zu einem nachlässigen Zopf gebunden. „Hallo, Tom.“ Er schüttelte Juliannes Freund die Hand, ohne zu lächeln. „Wie ich sehe, wiegelt ihr immer noch die Leute auf.“
Tom
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