Die Himmelsbraut
vermochte Antonia zu den nächsten Schmähworten zu reizen.
Mit etwa zwölf Jahren dann empfing Magdalena erstmals den «Gruß», den himmlischen Gnadenerweis. Antonia glaubte sich zu erinnern, dass das im Hungerwinter des Jahres 1517 gewesen war, nachdem Gewitter, heftige Stürme und sintflutartiger Regen überall im Lande die Ernten verdorben hatten. Nicht wenige Bauern waren schon ins Ungarische ausgewandert, andere versuchten mit Holzdiebstahl und Wilderei zu überleben. Drüben im Wirtembergischen, hieß es, lasse der grausame Herzog Ulrich solchen Frevlern die Augen ausstechen.
Auch in der Haushaltung des Ritters und seines Gutsverwalters wurde das Getreide knapp, und die Erwachsenen schritten mit sorgenvoller Miene einher. In jenen Wochen zog sich Magdalena, kaum hatte sie ihre Arbeitspflichten hinter sich gebracht, in die Schlafkammer zurück, um in Kälte und Dunkelheit ihre Gebete zu verrichten. Dort fand Antonia sie eines Abends. Im Schein der Handlampe stand Magdalena vor ihr mit dem Rücken zur Wand, gänzlich nackt, mit ausgebreiteten Armen und einem verzückten Lächeln auf dem Gesicht. Aus ihren halb geöffneten Lippen stiegen Atemwölkchen in die eisige Luft.
«Was tust du da?», rief Antonia erschrocken. «Du holst dir ja den Tod!»
«Mir ist nicht kalt», erwiderte sie leise. «Denk dir, Antonia, ich war an einem unsagbar wonnevollen Ort. Da war ein Licht, und es ist durch all meine Adern geflossen. In diesem Licht hat der Allmächtige zu mir gesprochen, ich habe seine Offenbarung mit allen Sinnen erfahren dürfen, habe ihren süßen Duft sogar auf der Zunge schmecken können.»
Antonia zog sie entgeistert in ihr gemeinsames Bett und deckte sie bis zum Hals zu.
Von diesem Tag an blieb Magdalenas einziges großes Ziel, erneut mit Gott ins Gespräch zu kommen. Dass ihr Vater sie über all dem doch nie fortgeschickt hatte, trotz seiner Drohung, verwunderte Antonia. Vielleicht lag es daran, dass er glaubte, ihre Glaubensinbrunst würde sich wieder legen. Ganz sicher aber daran, dass er seine drei Töchter allesamt inniglich liebte – Magdalena vielleicht noch ein klein wenig mehr als die anderen, da sie so sehr seiner viel zu früh verstorbenen Frau glich, in ihrem zarten Körperbau, den hellblauen Augen, dem feinen, blonden Haar, das in der Sonne golden glänzte.
Auch wenn Magdalenas Glückseligkeit im Glauben echt schien, so hätte Antonia sie doch niemals darum beneidet. Viel zu sehr hing sie am diesseitigen Leben, an diesem Leben in Freiheit und voll kindlicher Freuden, dazu in einem Landstrich, der wahrlich vom Herrgott begnadet war. Hier in den Vorbergen des Schwarzwalds waren die Winter kurz, wenn auch schneereich, was zu herrlichen Schlittenfahrten verlockte; das Frühjahr trieb einen hinaus in die blühenden Wiesengründe, die schattigen Täler waldaufwärts boten in den warmen Sommermonaten willkommene Abkühlung; im Herbst endlich wurden die Trauben in den Rebgärten prall und saftig, und die Äste der Obstbäume bogen sich unter ihrer Last an Zwetschgen, Äpfeln und Birnen. Jedes Jahr verdarben Phillip und Antonia sich in ihrer Gier den Magen, doch jedes Jahr aufs Neue war die Verlockung zu groß.
Nein, sie hätte ihr Leben mit niemandem tauschen mögen. Und auch jetzt, an diesem sonnigen Tag vor Ostern, fieberte sie nichts mehr entgegen als der warmen Jahreszeit auf diesem schönen Fleckchen Erde, das ihre Heimat war. Die einzige Enttäuschung an diesem Tag war gewesen, dass das Fohlen als Stute zur Welt gekommen war. Zu gern hätte sie erfahren, ob es Phillip ernst gewesen war mit seinem Kuss.
2 Gutshof der Ritter von Holderstein, im Frühjahr 1520
D er sonntägliche Kirchgang vom Gestüt hinunter ins Dorf, das auf der anderen Seite des Bachlaufs lag, glich jedes Mal fast einer Prozession. Vorweg schritt Magdalena, zwischen ihrem Vater und dem Kammerfräulein von Fleckenstein, das nach dem Tod der Mutter die Erziehung der Mädchen und die Aufsicht über das Gesinde übernommen hatte. Hernach folgten Grit mit Katharina und Bernward, falls er denn zu Hause weilte, das Küchenmädchen mit der Hofmagd und der Wäscherin, dann der Hufschmied, der Sattler, die beiden Pferdeknechte. Als Letztes marschierte Antonia mit Phillip, der es sich nicht nehmen ließ, den doch beträchtlichen Umweg über das Gestüt zu nehmen, um Antonia abzuholen. Mitunter hatte er seinen Bruder Kilian und seine kleine Schwester Almuth, ein verwöhntes Gör, im Schlepptau, doch am liebsten war es Antonia
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