Die Himmelsbraut
mühte aufzuholen und so lauthals Antonia es auch anfeuerte. Bis auf Schweifhöhe arbeitete die Stute sich am Ende immerhin an den Rappen heran, doch da hatten sie bereits die kleine Hochfläche unterhalb des Drachenfelsen erreicht.
Schnaubend fielen die Pferde in Schritt.
«Das ist ungerecht», keuchte Antonia. «Wenn du nicht so schnell losgaloppiert wärest und der Weg nur ein bisschen länger gewesen wäre, dann hätte ich dich überholt.»
«Wenn, wenn …» Phillip glitt vom Pferd. «Lassen wir sie ein wenig grasen.»
Antonia tat es ihm nach und tätschelte der Stute den Hals. «Und jetzt sag mir, was du mir sagen wolltest.»
«Erst krieg ich einen Kuss. Ich hab das Wettrennen nämlich gewonnen.»
«Das war nicht ausgemacht.»
«Trotzdem.»
Er baute sich dicht vor ihr auf und schloss die Augen. Seine Wangen waren erhitzt von dem scharfen Ritt.
Nur einen winzigen Moment zögerte Antonia. Ihr Herz klopfte heftig, als sie seine Lippen mit ihrem Mund berührte. Sie waren viel weicher, als sie gedacht hatte.
Sie trat einen Schritt zurück.
«Jetzt erzähl.»
Phillip öffnete langsam die Augen und strahlte sie an.
«Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Ich hatte nach meinem Arrest beim Vorsteher antreten müssen. Dem hab ich gesagt, dass ich die Schule verlassen will, und damit war er mehr als einverstanden.»
«Das heißt – du musst nicht wieder zurück?»
«Ja. Genau das heißt es.»
Da küsste sie ihn, ohne nachzudenken, ein zweites Mal.
3 Burg Holderstein, im Frühjahr 1520
P hillip hätte vor Glück sogar den Knecht umarmen mögen, der ihm vor dem oberen Burgtor die beiden Pferde abnahm. Drei Wochen lang hatte er sich über den versäumten Kuss zu Ostern gegrämt, hatte gegrübelt, warum sich Antonia bei der Wette um das Fohlen so etwas Albernes wie einen Kranz aus Wiesenblumen gewünscht hatte.
Heute nun war das Versäumte mehr als wettgemacht, auch wenn es nur ein allzu kurzer Augenblick der Wonne gewesen war. Wie zart und warm sich ihre Lippen angefühlt hatten, wie wunderbar ihre Haut nach Wind und irgendwie auch nach Waldmeister geduftet hatte! Zugleich verwirrte ihn, dass er in jenem Moment das Verlangen nach mehr verspürt hatte, danach, sie ganz und gar zu umfassen, ihren schlanken und dennoch kraftvollen Körper in den Armen zu spüren. Bislang hatte er Antonia wie eine Schwester betrachtet, mit der er so vieles teilen konnte: seine Liebe zu Wald und Flur, seine Gedanken, seine Ängste und Ärgernisse. Jetzt aber war etwas Neues hinzugekommen, etwas, wovon Antonia ganz sicher nichts ahnte.
Dabei hatte sich seine Freundin aus Kindertagen eigentlich gar nicht verändert in ihrer neugierigen, manchmal auch ungestümen Art – außer vielleicht dass ihr Körper sich ein klein wenig zu runden begann und ihre Beine noch länger geworden waren. In seinen Augen war sie auf betörende Weise zu einer jungen Frau geworden. Wie bildschön sie aussah mit ihrem dunklen rotbraunen Haar, das sich kräuselte, wenn sie es nicht jeden Morgen glattzog, mit ihrer leicht nach oben gebogenen Nase, auf die die Junisonne jedes Jahr winzige Sommersprossen zu zaubern begann, mit ihren vollen Lippen, die ebenso herzhaft lachen wie spöttisch grinsen konnten. Mit das Schönste aber waren ihre tiefgrünen Augen. Wie das Wasser eines Waldweihers an einem wolkenlosen Tag schimmerten sie. Dass er nun die ganze Frühjahrs- und Sommerzeit mit ihr würde verbringen dürfen war fast mehr an Hochgefühl, als er ertragen konnte.
Eilig durchquerte er den Burghof, sprang die steilen Holzstufen zum Eingang des Palas hinauf und stieß die Tür auf. Aus dem Vorraum schlug ihm kalte Luft entgegen, kälter noch als draußen. Er zögerte kurz. In der Hand hielt er das Entlassungsschreiben des Klostervorstehers. Sein Vater, den er bei seiner Ankunft heute Mittag nicht angetroffen hatte, würde hierüber keineswegs erbaut sein. Ach was, dachte Phillip, das soll mich nicht scheren. Was hatte der Unterricht noch für einen Sinn? In der lateinischen Grammatik kannte er sich inzwischen fast besser aus als der Bruder Magister selbst, und nicht zuletzt würde man nun ein gutes Sümmchen an Schulgeld einsparen – ein Vorteil, der bei seinem sparsamen Vater noch immer gezählt hatte.
Phillip betrat den Saal. Die Steinbank der Fensternische, in der um diese Zeit seine Mutter zu sitzen pflegte, mit einer Wolldecke bis über die Hüfte, war leer. Und auch sonst war niemand im Raum bis auf den Hausknecht, der das Feuer im Kamin
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