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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Bova
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schaltete die Computerstimme mit einem kurzen Schnalzer ab.
Ihre Lebensdaten brauchte er nicht. Er konnte mit eigenen Augen
sehen, daß sie fast so groß war wie er und jene
füllige, reife Figur hatte, die ihm verriet, daß sie
ständig mit ihren Pfunden wucherte. Ihr dichtes, honigfarbenes
Haar fiel bis auf die Schultern, ihre Frisur war im Moment ziemlich
verrutscht. Die meergrünen Augen waren lebhaft, intelligent,
neugierig. Ein hübsches Gesicht. Sie sah fast aus wie ein
unschuldiges Kind, bis auf diese bohrenden, rastlosen Augen. Dennoch
war es ein süßes Gesicht, verwundbar, fast
zerbrechlich.
    »Ich wollte, man hätte mir gesagt, daß mir eine
Bergtour bevorsteht«, grollte Evelyn.
    David lachte. »Kommen Sie, das ist doch kein Berg. Auf dieser
Seite der Kolonie haben wir keine Berge gebaut. Wenn Sie aber
wirklich klettern wollen…«
    »Schon gut!« Evelyn strich sich eine herabgefallene
Strähne aus den Augen.
    Sie wußte, daß ihr Kleid ruiniert war, durchgeschwitzt
und voller Grasflecken. Dieser Bastard von Cobb, der
›Bürgermeister‹ von Eiland Eins. Das alles war seine
Idee.
    »Ziehen Sie los und sehen Sie sich die Kolonie an«,
polterte der alte Sack, als wollte er ihr eine Standpauke halten.
»Ich meine echt anschauen. Stecken Sie Ihre Nase
überall rein. Erforschen Sie das Gelände. Ich werde Ihnen
jemanden mitgeben, der Sie herumführt…«
    Wenn er jeden Neuankömmling so behandelt, so ist es ein
Wunder, wenn es jemand hier oben aushält? Aber Evelyn fragte
sich auch: Oder verpaßt er mir vielleicht eine
Sonderbehandlung, weil er vermutet, warum ich da bin? Zum
erstenmal in ihrem Leben stellte sie fest, daß Schnüffelei
nicht nur gefährlich, sondern auch verdammt anstrengend sein
konnte.
    Sie stapfte hinter dem muskulösen jungen Waldmenschen her
durch Wiese und Wald, über Stock und Stein. Ihre Kleidung war
hoffnungslos in Unordnung, ihre Schuhe waren ruiniert, sie hatte
Blasen an den Füßen, die Schultertasche klatschte gegen
ihre Hüfte, und ihre Laune verschlechterte sich mit jedem
schmerzlichen Schritt.
    »Es ist nicht mehr weit«, sagte David. Seine Heiterkeit
wirkte aufreizend. »Fühlen Sie sich etwas erleichtert? Die
Schwerkraft läßt hier oben ziemlich schnell
nach.«
    »Nein«, knurrte sie und traute sich nicht mehr zu sagen.
Wenn sie ihm gesagt hätte, was sie in Wirklichkeit über all
diesen Klimbim dachte, wäre sie mit Sicherheit in die
nächste Raumfähre verfrachtet und schnurstracks zur Erde
zurückbefördert worden.
    David ging neben ihr her. Der Pfad war jetzt bei weitem nicht mehr
so steil. Zumindest fiel das Gehen leichter. Evelyn erblickte
mannshohe Büsche zu beiden Seiten ihres Weges mit herrlichen,
riesigen, kürbisgroßen Blüten in fantastisch
vibrierendem Rot, Orange und Gelb.
    »Was ist das?« fragte sie, wobei sie schon fast wieder
normal atmete.
    Für einen Augenblick verschwand der freundliche Ausdruck von
Davids Gesicht. »Nun ja…« Er schnalzte mit der Zunge,
während er die Blüten betrachtete.
    Irgendein PR-Mann, dachte Evelyn. Er zeigt mir die
Sehenswürdigkeiten und weiß nicht…
    »Eine Mutation der gewöhnlichen Hortensie«, sagte
David. Dabei neigte er den Kopf zur Seite, als lauschte er,
während er sprach. » H. macrophylla nurphiensis. Einer der ersten Genetiker der Kolonie war ein Hobbygärtner,
der eine neue Generation von Blumen züchten wollte, die nicht
nur in neuen spektakulären Farben erstrahlten, sondern sich auch
selbst befruchteten. Das ist ihm dann mehr als gut gelungen, und
seine modifizierten Hortensiensträucher drohten drei Jahre lang
ein Großteil des Ackerlandes unserer Kolonie zu
überwuchern. Mit Hilfe eines Spezialteams von Biochemikern und
Molekularbiologen wurde der mutierte Busch auf die Hochlandregionen
am anderen Ende des Hauptzylinders der Kolonie
beschränkt.«
    Der rasselt seinen Text herunter wie irgendein verdammter
Roboter, dachte Evelyn.
    David lächelte ihr zu und sagte in einem normaleren Tonfall:
»Übrigens hieß der Amateurgärtner Murphy. Er
lehnte es ab, daß die neue Pflanze nach ihm benannt wurde, und
daher benannte Dr. Cobb die Pflanze nach dem Murphyschen
Gesetz.«
    »Murphyschen Gesetz?«
    »Hat man Ihnen das noch nicht erklärt? ›Alles, was
schief gehen kann, geht schief.‹ So lautet das Murphysche
Gesetz.« Und er setzte etwas ernster hinzu: »Das ist das
erste und wichtigste Gesetz für das Leben hier oben. Wenn Sie
sich hier niederlassen wollen, müssen Sie stets an das
Murphysche Gesetz

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