Die Kultur der Reparatur (German Edition)
beitragen.
Keinesfalls will ich als Weltenretter verstanden werden, vielmehr möchte ich zu einer Debatte aufrufen, zu einem Nachdenken an einer entscheidenden Stelle, nicht mehr, nicht weniger: Meine Gedanken zur Ressourcenschonung sind geschichtlich betrachtet nichts Neues, sie wurden schon vor Generationen gedacht und in die Tat umgesetzt. In München gibt es z. B. seit vielen Jahren neben den schon erwähnten Initiativen eine vom Abfallwirtschaftsbetrieb herausgegebene Broschüre, die beinahe tausend Adressen von Handwerksbetrieben und Fachgeschäften auflistet, die Reparaturdienstleistungen aller Art anbieten. Ziel dieses Buchs ist es, die Leser nicht nur auf Reparaturbetriebe – die sich vielleicht schon seit Generationen in den Stadtteilen, quasi um die Ecke befinden – wieder aufmerksam zu machen, sondern ihnen Lust aufs Reparieren und Gestalten zu machen. Noch bevor man seine ausgedienten Sachen zum Sperrmüll bringt, sollte man die Reparatur oder auch einen Flohmarktverkauf zumindest wieder in Erwägung ziehen. Weil es unsere Ressourcen schont – und weil es uns zu glücklicheren Menschen macht.
Reparatur – ein Konzept der Natur
Das Prinzip der Selbstorganisation
Um zu verstehen, dass die Reparatur einen natürlichen Ausweg aus der hochgetunten Wegwerfgesellschaft bedeutet, sollten wir uns vergewissern, dass ihr Prinzip keine menschliche Erfindung, sondern ein uraltes, der Natur seit Anbeginn der Zeit innewohnendes ist. Reparaturprozesse finden schon in der unbelebten Natur statt, aber erst in lebenden Systemen entfaltet sich die ganze Kraft der Mechanismen, hinter denen Selbstorganisations- und Selbstheilungskräfte stehen und ohne die Leben weder hätte entstehen noch überhaupt eine Sekunde lang aufrechterhalten werden können.
Reparatur als Konzept der Natur lässt sich natürlich nicht ohne Weiteres auf die Welt der Gegenstände übertragen: Der sich selbst reparierende Kühlschrank, der einfach ein internes Reparaturprogramm anwirft, sobald er nicht mehr richtig kühlt, ist nach wie vor eine Utopie. Noch schöner wäre es, wenn auch der Inhalt „repariert“ werden könnte: Es fehlen zwei Liter Frischmilch, das Glas Quittenmarmelade ist leer, der Käse ist auch aufgegessen, eine kleine Fehlermeldung, und schon sind die Kühlfächerwieder nachgefüllt. In einer solchen Welt gäbe es auch nie wieder Ärger mit defekten Kaffeemaschinen oder Waschmaschinen, die nicht mehr in den Schleudergang wollen.
Was in unseren Ohren absurd klingt, ist in der „echten“ Natur ein völlig selbstverständlicher Prozess: Beschädigte Systeme werden repariert, wiederhergestellt. Denken Sie nur an das Ihnen sicher vertraute Beispiel der Wundheilung: Wir reparieren uns selbst, wenn wir uns verletzen. Dies ist das Prinzip der Selbstorganisation,das uns zunächst in der anorganischen Welt begegnet.
Bergkristalle – diese wunderbaren, homogenen Körper – wachsen, weil die Atome, die sie ausmachen, sich selbst nach den Regeln der Physik organisieren. Anfangs schwimmen sie ungeordnet in einer Art Mutterlauge, der Kristalllösung, von der schon Thomas Mann im Zauberberg berichtet, umher, suchen sich ihre Plätze in allen drei Dimensionen des Raumes, in genau demselben Abstand voneinander, periodisch in allen drei Raumrichtungen. Selbstorganisation führt also zu einer von uns Menschen empfundenen Schönheit der hauptsächlich kristallin vorliegenden unbelebten Materie in der uns umgebenden Natur.
Dabei können Fehler entstehen. Es kann vorkommen, dass bei diesem Wachstum einzelne Atome falsch andocken, in einem falschen Abstand, in einer falschen Position; schon in der Mutterlauge selbst kann sich ein falsches Atom, ein falsches Molekül befinden, nach dem Motto: „Hilfe, ich bin ja in der falschen Suppe gelandet!“ Dieser Fehler wird nun offensichtlich repariert, jedenfalls in vielen Fällen. Sonst gäbe es die aus 10 hoch 23 Atomen bestehenden wunderbaren Bergkristalle nicht. (Ja, richtig gelesen, eine 1 mit 23 Nullen. Für uns eine absolut nicht mehr vorstellbar große Zahl.)
Die Fehlerbehebung, die Reparatur, funktioniert dabei durch Selbstorganisation. Ein Kristall wächst nur „richtig“ weiter, wenn die Trilliarden von Atomen, die ihn ausmachen, die richtige Position einnehmen. In der Regel „merkt“ er, wenn dies nicht geschieht, und zwar aus einer energetischen „Sichtweise“ heraus: Da in der Natur alles nach dem Prinzip der Energieminimierung verläuft, „stellt“ der Kristall„fest“,
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