Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Metall, elektronischen Schaltungen, aber auch bei Softwareentwicklungen ein Licht aufgeht. Die, getrieben von wahrem Erfindergeist, eine richtige Werkstatt brauchen, mit allem Drum und Dran, mit Dreh- und Tischfräsmaschine. Aber auch hier wird nicht nur gebastelt, sondern auch gezeigt, wie etwa Decken gestrichen werden. Und es wird geflogen, mit Quadrokoptern (natürlich nur nach Vorlage einer gültigen Modellflugversicherung).
Tüftler brauchen Netzwerke, müssen ständig im Austausch bleiben, daher finden an bestimmten Wochentagen zu bestimmten Uhrzeiten, immer nach Feierabend (19.30 Uhr) Stammtische statt. Da ihnen wohl die Frauen ausblieben, betonen die Tüftler bei Attraktor den Besitz von zwei Nähmaschinen: „Wir können auch Stoff!“ Prima hübsche Taschen entstehen da. Wert wird zudem auf Vorträge gelegt, zum Beispiel über das Thema Netzneutralität oder über Ray Kurzweil, amerikanischer Erfinder, Futurist und „Director of Engineering“ bei Google, über dessen Ideen essich vortrefflich streiten lässt.
Die Szene ist bunt – und es ist erst der Anfang. Davon sind Nora und Anja vom HUIJ überzeugt. Nicht anders ich selbst. Reparieren ist kreativ. Reparieren macht erfinderisch. Reparieren ist eine wunderbare sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Dabei ging meine erste Reparatur kolossal schief.
Ungefähr im Alter von fünf Jahren wollte ich in Abwesenheit meiner Eltern ein kleines Radio reparieren, unser einziges Familienradio zur damaligen Zeit. Eigentlich war es gar nicht kaputt, aber ich war fest davon überzeugt, es reparieren, mir zumindest das Innere genauer anschauen zu müssen, um etwas über sein Geheimnis, seine Funktion zu lernen. Wie es sich gehört, zog ich dazu den Stecker raus, nahm einen Schraubenzieher in die Hand und zerlegte das Radio. Das Werkzeug stammte aus der kleinen Werkstatt meines Vaters. Der bastelte für sein Leben gern, stellte Schränke her und versuchte zu reparieren, was immer zu reparieren war. Nicht immer gelang ihm das. Und darin trat ich nun in seine Fußstapfen: Die Reparatur missglückte. Ich konnte nur feststellen, dass das Innenleben eines Radios unter anderem aus einem Lautsprecher besteht, verknüpft mit einem Magneten, der etwas macht, das mich zum Staunen brachte: Er konnte Gegenstände aus Eisen, wie zum Beispiel Nägel, anziehen. Zusammenbauen konnte ich das Gerät leider nicht mehr. Von meinen Eltern erwartete ich ein großes Donnerwetter, aber sie reagierten wunderbar: „Aus dem Bub wird einmal etwas, der will etwas wissen, ist neugierig.“
Wer repariert, setzt sich mit Dingen auseinander, begreift die Welt – ganz im Sinne des Humboldt'schen Bildungsideals eines zusammenhängenden Verstehens. In dieser Perspektive hat Reparieren einen pädagogischen Anspruch. Doch im Gegensatz zum Programm des preußischen Bildungsministers und Gelehrten betrachte ich Bildung nicht allein als eine Bildung des Kopfes. Lernen verläuft nur dann optimal, wenn man sich auch praktisch, vor allem manuell betätigt. Das jedenfalls haben die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Gehirn- und Lernforschung gezeigt. Nicht umsonst steht das Wort Begreifen neben dem Verstehen auch für den haptischen Umgang mit den Dingen.
Das Reparieren, sich selbst zu helfen, ist eine sinnstiftende Tätigkeit. Es ist gelebte Nachhaltigkeit, bedeutet die Übernahme von Verantwortung, verbindet mich sinnvoll mit dem, was mich umgibt, und zwingt zum genauen Schauen, Erleben und Entdecken. Die Reparatur fördert mein Verständnis der Funktion von Dingen und damit auch die Wertschätzung denen gegenüber, die sich das Werkstück oder Gerät ausgedacht, die es erfunden und auch hergestellt haben. Des Weiteren gewinnt jeder, der reparieren und/oder etwas herstellen kann, an Autonomie. Nichts lässt im Menschen ein stärkeres Gefühl von Freiheit aufkommen als die Erfahrung, nicht von anderen abhängig zu sein – und umgekehrt für andere tätig werden zu können, ihnen bei der Reparatur von Dingen zu helfen. Alles, was ich selbst zuwege bringe, worüber ich nicht die Kontrolle verliere, stärkt meine Selbstbestimmtheit: Und je mehr jemand kann, umso motivierter ist er, noch mehr zu können, neugierig danach Ausschau zu halten, was man noch alles in Angriff nehmen kann. Es ist genau das, was die guten alten Erfinder ausgezeichnet hat – es nicht bei einer Sache zu belassen, sondern immer weiter in die Geheimnisse von Dingen einzudringen. Zudem macht das Reparieren Laune, es bringt ungemein viel
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