Die Kunst engagierter Gelassenheit
persönlichen Reflexion ein. Dieses Buch erspart Ihnen also ein teures Seminar. Zum Aufschreiben Ihrer Erfahrungen, Gedanken und Antworten auf die Impulsfragen, empfehle ich Ihnen, ein Notizbüchlein oder Sie legen ein paar leere Blätter ins Buch.
Dass Sie durch die Texte, Fragen und Übungen der engagierten Gelassenheit Schritt für Schritt näherkommen, wünscht Ihnen
Lukas Niederberger
Rigi-Klösterli/Schweiz, im Februar 2011
LEBEN IM HAMSTERRAD
Bei den meisten Menschen
ist die Ruhe nichts als Erstarrung
und die Bewegung nichts als Raserei.
Epikur (griechischer Philosoph, 341 – 270 v. Chr.) [Ref 1]
Die Unruh kommt von dir,
nichts ist, das dich bewegt,
du selbst bist das Rad,
das aus sich selbst läuft
und keine Ruhe hat.
Angelus Silesius (Mystiker, 1624 – 1677)
Der Gelassene nützt seine Chance besser
als der Getriebene.
Thornton Wilder (Schriftsteller, 1897 – 1975)
»Die Leute«, sagte der kleine Prinz,
»drängeln in die Schnellzüge,
aber wissen gar nicht, wohin sie fahren wollen.
Und dann regen sie sich darüber auf
und drehen sich im Kreis.«
Antoine de Saint-Exupéry (Flugpionier, 1900 – 1944)
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch ( 1911 – 1991 ) zeichnete in seinem Roman Homo faber im Jahr 1957 mit dem Ingenieur Walter Faber einen Prototyp des modernen Machers. Faber stellte das Pflichtgefühl über die Liebe und ließ sich eher vom Verstand als von Gefühlen leiten. Und verfehlte letztlich sein Leben. Die Erfahrung des »Homo faber« ist uns nicht fremd. Wir sind Ruderer in modernen Galeeren und müssen die Erfolgszahlen in immer kürzeren Abständen liefern. Um die hohen Erwartungen von außen – und noch vielmehr jene von innen – halbwegs erfüllen zu können, geraten wir leicht in äußere und innere Unruhe, in Aktivismus und ein Getriebensein. Das Hamsterrad, in dem wir rotieren, ist in der Regel hausgemacht.
Das Leben im Hamsterrad hat trotz unzähliger Wok-life-Balance-Seminare noch immer Kultstatus in unserer Leistungsgesellschaft. Manche Menschen brauchen das Hamsterrad, um ihre Identität zu rechtfertigen. Sie fühlen sich wohl, wenn sie getrieben sind, von einem Termin zum nächsten hetzen, immer und überall gefragt sind. Sie können gar nicht still sitzen, sie brauchen die permanente Bewegung, den ultimativen Kick. Adrenalin-Junkies sind von der Bewunderung durch Leistung abhängig und scheuen ruhige Zeiten und Pausen wie der Teufel das Weihwasser.
Im Bekanntenkreis, im persönlichen Coaching und in Kursen begegnen mir immer mehr Männer – und zunehmend auch Frauen – mit Erschöpfungsdepressionen, auch Burnout genannt. Obwohl ich ein Ausbrennen persönlich nie erlebt habe und auch nie erleben möchte, betrachte ich dieses in den meisten Fällen als eine Chance – um nicht von einer Gnade zu sprechen – für die Betroffenen. Leider ist es heute so, dass immer
mehr Getriebene mit einem Herzinfarkt, mit Gallensteinen, Magengeschwüren oder eben einem Burnout zu Time-Outs gezwungen werden, in denen sie endlich mal ehrlich auf ihr bisheriges Leben schauen, sich der Angst vor der Leere, der Einsamkeit und Sinnlosigkeit stellen und sich neu ausrichten auf ein Leben, das mehr Sinn ergibt und mehr ihrer inneren Bestimmung entspricht. Eine befreundete Seelsorgerin, die im Moment an einem Burnout leidet, schrieb mir vor einem Jahr im Fragebogen bezüglich Gelassenheit: »Ich bin eine Macherin, das heißt ich bin kreativ und möchte immer alles selbst bewirken oder tun, bin ständig am Planen oder Entwerfen und Umsetzen von Ideen. Dies widerspricht meiner Meinung nach ziemlich der Vorstellung des Gelassenseins – sprich Geschehen-Lassens. « Leider reagiert man auf solche Warnsignale meistens zu spät. [Ref 2]
Die Dynamik des Hamsterrades greift sogar im religiösen und spirituellen Bereich. Es ist wohl kein Zufall, dass es in Zen-Meditationskursen mehr Männer als Frauen gibt. Denn der Leistungscharakter beschränkt sich beim Testosterongesteuerten Mann nicht nur auf den Arbeitsplatz, sondern längst schon auf sein Joggen in der Freizeit und inzwischen auch auf seine spirituelle Betätigung. Der engagierte Trappistenmönch Thomas Merton formuliert dies treffend:
»Viele kommen nicht bis zur Kontemplation, weil sie an Tätigkeiten und Unternehmungen kleben, die sie für ganz wichtig halten. Blind geworden durch ihren Wunsch nach pausenloser Bewegung, nach dem ständigen Gefühl, etwas zu leisten, und voller Hunger nach Ergebnissen und sichtbarem und
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