Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
den Wänden reihten sich große und kleine Fässer, Räucherschinken hingen schemenhaft erkennbar unter der Decke. Der Tisch war übersät mit Tellern und Schüsseln. Ein gewaltiger Braten wurde aus der Reichweite der Flammen geschwenkt, Saft tropfte auf die steinerne Herdeinfassung.
Bei dem würzigen Duft krampfte sich mir der Magen zusammen. Jason hob mich von der Schulter und setzte mich ohne Federlesens auf die dem Feuer nächste Ecke der Tischplatte, dicht neben dem Ellenbogen eines Mannes, dessen Gesicht hinter einem Bierkrug verborgen war.
»Hier, Burrich«, sagte er in sachlichem Ton. »Dieser Welpe ist von nun an dein Schützling.« Er wandte sich von mir ab. Ich beobachtete aufmerksam, wie er von einem dunklen Brotlaib ein faustgroßes Stück abbrach und dann sein Messer zog, um einen Keil aus einem Rad Käse zu schneiden. Er drückte mir beides in die Hände, bevor er zum Feuer trat und anfing, eine stattliche Portion von dem Braten herunterzusäbeln. Ich ließ mich nicht erst bitten und nahm Brot und Käse in Angriff. Der mit Burrich angesprochene Mann neben mir setzte den Krug ab und schaute Jason finster an.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte er, fast wie der Prinz hinter seinem Schreibtisch. Auch er hatte schwarzes, ungebärdiges Haar und einen ebensolchen Bart, aber sein Gesicht war schmal und kantig. Nach der dunklen Tönung seiner Haut zu urteilen hielt er sich viel im Freien auf. Seine Augen waren nicht schwarz, sondern braun, seine Hände sehnig und geschickt. Er roch nach Pferden und Hunden und Blut und Leder.
»Du sollst ihn in deine Obhut nehmen, Burrich. Prinz Veritas will es so.«
»Warum?«
»Du bist Chivalrics Mann, oder nicht? Sorgst für sein Roß, seine Hunde und seine Falken?«
»Und?«
»Und deshalb kannst du auch für seinen Blendling sorgen, wenigstens bis Chivalric zurückkehrt und etwas anderes bestimmt.« Jason hielt mir das Bratenstück hin. Ich sah von dem Brot in meiner rechten Hand zu dem Käse in meiner linken. Weder von dem einen noch von dem anderen mochte ich mich trennen, gleichzeitig lief mir beim Anblick des Fleisches das Wasser im Mund zusammen. Er quittierte mein Dilemma mit einem Schulterzucken und warf mit dem praktischen Sinn des Kriegsmannes das Fleisch neben mir auf den Tisch. Ich stopfte mir den Mund voll Brot und setzte mich so hin, daß ich meinen Schatz im Auge behalten konnte.
»Chivalrics Blendling?«
Jason nickte, ohne in der Zubereitung seiner eigenen Abendmahlzeit innezuhalten. »Behauptet der alte Landmann, der ihn hergebracht hat.« Er schichtete Fleisch und Käse auf eine dicke Brotscheibe, nahm einen großen Bissen und fuhr mit vollem Mund fort. »Er sagte, er sollte froh sein, daß er sich einer Frucht seiner Lenden rühmen könne, und sich von nun an gefälligst selbst um seinen Sproß kümmern.«
Ein angespanntes Schweigen senkte sich herab. Die Männer hörten auf zu essen, und aller Augen richteten sich auf Burrich, der bedächtig seinen Humpen vom Rand zur Mitte der Tischplatte schob. Als er antwortete, sprach er leise und beherrscht. »Wenn mein Herr keinen Erben hat, ist es Edas Wille und nicht sein Unvermögen. Prinzessin Philia ist seit jeher von zarter Gesundheit und ...«
»Ganz recht, ganz recht«, beeilte Jason sich zuzustimmen. »Und dort sitzt der lebende Beweis, daß es ihm als Mann an nichts gebricht – nur das habe ich gemeint.« Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Prinz Chivalric wie aus dem Gesicht geschnitten, hat sein Bruder vor wenigen Minuten noch gesagt. Es ist nicht die Schuld des Kronprinzen, wenn die Prinzessin Philia seinen Samen nicht austragen kann ...«
Doch Burrich hatte sich erhoben. Jason wich hastig ein, zwei Schritte zurück, bevor er merkte, daß Burrichs Interesse mir galt, nicht ihm. Der fremde Mann griff nach meinen Schultern und drehte mich zum Feuer, dann umfaßte er mein Kinn und hob mein Gesicht zu sich empor. Vor Schreck und Überraschung ließ ich Brot und Käse fallen. Er achtete nicht darauf, sondern studierte meine Züge wie die Karte eines unbekannten Landes. Unsere Blicke trafen sich, und in seinen Augen flackerte eine Wildheit, als wäre das, was er in meinem Gesicht las, ein Schmerz, den ich ihm zufügte. Ich schrak zurück, aber seine Hand gab mich nicht frei. Also erwiderte ich seinen Blick mit soviel Trotz, wie ich aufzubringen vermochte, und sah, wie eine Art widerwilliges Staunen seinen Unmut ablöste. Zu guter Letzt schloß er einen Atemzug lang die Augen,
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