Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf
mir gesagt, dass die Menschen Geschöpfe essen, die lebendig waren. Mit Rosmarin. Ist hier Rosmarin? Ich will nicht gegessen werden.« Der Kleine brach wieder in sein klagendes, herzzerreißendes Gewimmer aus.
Die Frau nahm den Kopf zwischen die Hände.
»Was für eine furchtbare Tat hast du denn in deinem früheren Leben begangen: Hast du deine Mutter verkauft?«, fragte der Mann.
»Ich glaube, es ist besser, du gehst. Danke für das Angebot mit dem Kaninchen. Ist nicht so wichtig. Feuer hast du. Also leb wohl.«
»Du wirst doch nicht wegen dem da auf ein Stück Kaninchen verzichten wollen?«
»Ich weiß, es ist verrückt, aber ich ertrage es nicht zu hören, wie er weint. Ich bitte dich, geh.«
»Ich kann nicht gehen«, sagte der Mann unsicher.
»Warum nicht?«
»Ich kann eine junge Frau nicht allein in den Sümpfen zurücklassen. Es wäre für dich allein schon gefährlich genug, aber dann noch mit dem da!«
»Danke, werter Herr, aber ich bin bisher allein zurechtgekommen und ich brauche keine Hilfe. Nimm dein...«
»Aber was macht er denn da?«
Die Frau sah sich um. Der Kleine hatte das Kaninchen in den Arm genommen und streichelte es langsam. Seine Finger verweilten etwas länger dort, wo das Fell mit Blut verschmiert war. Er hatte die Augen geschlossen und wirkte wie in Trance. Er hatte aufgehört zu weinen.
»Was machst du denn da?«, fragte die Frau.
»Ich denke.«
»Du denkst. An was?«
»An das Kaninschen.«
»Kaninchen.«
»Kaninchen. Ich dachte daran, wie es atmete. Herumlief. Um zu riechen, brauchte es nur das Näschen zu bewegen. Der letzte Geruch, den es wahrgenommen hat, war der von feuchtem Laub und Pilzen. Den Jäger hat es nicht gerochen. Da war nur der Geruch von nassem Gras und Pilzen, ein guter Geruch, oh ja... Ich denke daran, wie es atmete... An das Blut, das in seinen Adern floss...«
Das Kaninchen erbebte, schlug die Augen auf, hielt sie ein paar Atemzüge lang erschreckt offen, dann schüttelte es sich, sprang zu Boden und lief davon. Es wich den Füßen des Jägers aus, schlüpfte dem Hund zwischen den Beinen hindurch, setzte über den Baumstamm hinweg, auf dem die Frau saß, und dann, nach einem letzten Haken, verschwand es für immer im Schilf.
Der kleine Elf fragte sich, ob »Kaninchen« wohl ein guter Name für den Hund sein könnte. Wahrscheinlich nicht: Ein bisschen sahen sie sich ja ähnlich, aber der Schwanz war nun wirklich ganz anders.
Der Mann und die Frau schauten noch lange auf den Punkt, wo der weiße Schwanz des Kaninchens verschwunden war. Der kleine Elf wirkte erschöpft. Zitternd kauerte er am Boden, dann erholte er sich langsam. Der Hund legte sich neben ihn und er umarmte ihn.
Nun war es endgültig dunkel. Im Teich funkelten die Sterne wie an einem zweiten Firmament, hier und da standen Schilfbüschel dazwischen.
Es war seit unzähligen Monden die erste klare Nacht.
»Hast du außer deiner Mutter vielleicht auch noch deine jüngeren Geschwister verkauft?«, erkundigte sich der Mann.
Statt ihm zu antworten, wandte die Frau sich an den Elfen.
»Kannst du das auch mit Menschen machen?«
»Mit Menschen, Elfen oder Trollen? Gewiss nicht. Man kann das nur mit kleinen Lebewesen machen, die wenig im Kopf haben: den Geruch von Wasser, die Farbe des Himmels. Wirklich leicht ist es mit Fliegen, Mücken und Schnaken, man braucht sie nur leicht zu berühren und einen Moment lang vom Fliegen zu träumen und schon summen sie wieder davon.«
»Wirklich?«, fragte der Mann. »Wie schön! Im Sommer ist einer, der die Mücken rettet, als Begleiter Gold wert. Einer, der Mücken wieder auferweckt, ist eine gute Unterhaltung beim Abendessen, wenn ich denn einmal dazu kommen sollte: Du bist der Traum meines Lebens. Wie konnte ich bisher nur leben ohne dich?«
»Kannst du noch andere Sachen machen?«, fragte die Frau. »Was weiß ich... Kannst du Maiskolben vermehren? Wir haben einen: Kannst du drei oder fünf daraus machen?«
Sie waren wirklich blöd. Der Kleine wirkte niedergeschlagen.
»Aber gewiss nicht, man kann doch die Materie nicht vervielfachen.«
»Und ein totes Kaninchen wieder zum Leben erwecken?«
»Das kann man machen. Ein Lebewesen stirbt, wenn es seine Energie verliert.«
»Seine was?«
»Seine Kraft. Auch Feuer geht aus, wenn es seine Kraft verliert. Ein Geschöpf wieder zum Leben erwecken, ist wie Feuer anzünden: nur eine kleine Übertragung von Energie, von innen in meinem Kopf nach außen.«
Der Jäger wandte sich an die Frau. »Komm weg
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