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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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noch gestattete, sehr abfällig über die Qualität israelischen Weins zu sprechen, nahmen sie diese Huldigung mit einer Höflichkeit auf, von der Alexis wusste, dass sie sie Blut kostete. Selbst als er fortfuhr, über die Wiederbelebung der jüdischen Kultur in Deutschland sowie die geschickte Art zu reden, mit der die neuen Juden die Grundstückspreise in Frankfurt und Berlin in die Höhe getrieben hätten, hielten sie ihre Zunge noch im Zaum, obwohl die finanziellen Machenschaften von Schtetel-Juden, die dem Ruf nach Israel nicht gefolgt waren, sie insgeheim genauso abstießen wie die Plumpheit ihrer Gastgeber. Dann jedoch, als Schulmann da war, wurde plötzlich alles auf ganz andere Weise klar. Er war der Anführer, auf den sie gewartet hatten: Schulmann aus Jerusalem, dessen Ankunft ein paar Stunden im voraus durch einen verwirrten Anruf von der Zentrale in Köln angekündigt worden war.
    »Sie schicken einen besonderen Spezialisten. Der wird sich schon bei Ihnen melden.«
    »Spezialist für was?« hatte Alexis wissen wollen, der es sich - ganz untypisch für einen Deutschen - zur Regel gemacht hatte, etwas gegen Leute mit besonderen Qualifikationen zu haben. Keine Auskunft. Doch dann war er da - für Alexis’ Empfinden kein Spezialist, sondern der breitstirnige, betriebsame Veteran einer jeden Schlacht seit den Thermopylen, zwischen vierzig und neunzig Jahren alt, vierschrötig, slawisch und kräftig und weit mehr Europäer als Hebräer, mit mächtigem Brustkorb, dem weitausgreifenden Schritt eines Ringers und der Begabung, jeden zu beruhigen; und dazu dieser quirlige Gehilfe, der überhaupt nicht erwähnt worden war. Vielleicht doch kein Cassius, sondern eher der Urtyp des dostojewskischen Studenten: halb verhungert und im Kampf mit den Dämonen. Wenn Schulmann lächelte, durchzogen Runzeln sein Gesicht, in Jahrhunderten von Wasser eingegraben, das immer dieselben Felsrinnen heruntergeflossen war; und die Augen waren schmal zusammengekniffen wie die eines Chinesen. Dann, lange nach ihm, lächelte auch sein Adlatus und gab echogleich irgendeine verdrehte tiefe Bedeutung wieder. Wenn Schulmann jemand begrüßte, kam sein ganzer rechter Arm wie ein seitlicher Schwinger auf einen zugeschossen, so schnell, dass - falls man ihn nicht vorher abfing -, einem die Puste wegblieb. Bei dem Adlatus hingen dagegen die Arme an der Seite herunter, als ob er sich nicht traute, sie allein loszulassen. Wenn Schulmann redete, feuerte er sich widersprechende Gedanken wie eine breitgestreute Geschoßgarbe ab, um dann abzuwarten, welche ankamen und welche zu ihm zurückkehrten. Die Stimme des Adlatus folgte ihnen wie Bahrenträger, die mitfühlend die Gefallenen einsammeln.
    »Ich bin Schulmann. Freut mich, Sie kennenzulernen, Dr. Alexis«, sagte Schulmann in einem fröhlichen Englisch mit Akzent. Nur Schulmann.
    Kein Vorname, kein Rang, kein akademischer Titel, weder Aufgabenbereich noch Beruf. Und der Student hatte überhaupt keinen Namen, zumindest nicht für Deutsche. Kein Name, kein unverbindliches Geplauder und kein Lächeln. Ein Anführer, das war Schulmann, wie Alexis ihn sah; ein Hoffnungsbringer, ein Presslufthammer, ein Aufgabenbewältiger ganz besonderer Art; ein angeblicher Spezialist, der ein Zimmer für sich allein brauchte und auch noch am selben Tag bekam - dafür sorgte schon der Adlatus. Bald hörte man Schulmann unablässig hinter geschlossenen Türen reden; sein Ton hatte etwas von einem Anwalt von außerhalb, der ihre bisher geleistete Arbeit genau unter die Lupe nahm und bewertete. Man brauchte kein Hebräist zu sein, um die Warums und Wiesos, die Wanns und Warum -nichts herauszuhören. Ein Improvisator, dachte Alexis: selber ein geborener Stadtguerilla. Wenn er schwieg, hörte Alexis das auch und fragte sich, was, zum Teufel, er denn plötzlich so Interessantes las, dass sein Mundwerk aufhörte zu arbeiten. Oder beteten sie? - War so was bei ihnen denkbar? Es sei denn natürlich, der Adlatus war an der Reihe, etwas zu sagen; in diesem Fall würde Alexis nicht das kleinste Gewisper mitbekommen, denn im Beisein von Deutschen besaß seine Stimme genauso wenig Volumen wie sein Körper.
    Mehr als alles andere bekam Alexis jedoch Schulmanns Drängen mit. Er war so etwas wie ein wandelndes Ultimatum, jemand, der den Druck, unter dem er selbst stand, an seine Mitarbeiter weitergab und der ihren Bemühungen etwas fast unerträglich Verzweifeltes gab. Wir können es schaffen, aber wir können auch scheitern, sagte er

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