Die Liebe in Grenzen
näherte: » Die Fahne! Sie müssen die Fahne hissen, wenn Sie etwas bestellen möchten. Da kommt sonst keiner.«
Ich sah mich um, ratlos, was der Alte meinen könnte, zuckte mit den Schultern, vielleicht ein Kriegstrauma.
» Sie befinden sich in einem Café«, fauchte er, inzwischen direkt vor mir. » Da können Sie nicht einfach herumsitzen und jemandem den Platz wegnehmen, ohne etwas zu konsumieren!« Er legte den Kopf schräg und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf das Buch in meinem SchoÃ. » Na, immerhin lesen Sie.« Er räusperte sich. » Trotzdem!«
Nichts ist umsonst, dachte ich, nickte ergeben und deutete auf das Blechschild: » Tut mir leid, aber es ist geschlossen. Und auÃer mir ist hier doch keiner.«
Der Alte blickte von mir zu dem Felsblock und schüttelte den Kopf. » Immer dasselbe!« Er ging auf das Schild zu, klemmte es unter den Arm, schlurfte zum Haus, kramte einen alten Eisenschlüssel aus seiner Hosentasche und verschwand in einer Tür, die scheppernd hinter ihm zuschlug. Keine Minute später tauchte er wieder auf, das Schild unter dem anderen Arm, schlurfte zum Stein und lehnte es dagegen:
Café geöffnet!
Er trat einen Schritt zurück, betrachtete sein Werk, rückte das Schild gerade und warf einen undefinierbaren Blick über die Schulter in meine Richtung, bevor er wieder zur Tür schritt.
» Hissen Sie die Fahne!«
Es schepperte noch einmal.
Ich schaute mich erneut um und sah einer groÃen Möwe bei der Landung auf dem Nachbarstrandkorb zu. Erst jetzt bemerkte ich, dass auf jedem der Körbe ein Rundholz angebracht war, antennenartig, mit einer Kordel versehen, die sich daran entlangspannte und durch ein kleines rechteckiges Stück Stoff gezogen war. Ein Wimpel in Blau-WeiÃ-Rot, mehr war es nicht, aber er lieà sich zweifellos mittels der Schnur hoch- und runterbewegen, » hissen« war also möglich. Nur wollte ich gar nicht, dass jemand kam.
Die Möwe sperrte ihren Schnabel auf, gab einen schrillen Laut von sich. » Hiss selber die Fahne, Vogelviech!« Sie legte den Kopf schief, dem Alten verblüffend ähnlich, und sah mich an, als würde sie vergeblich auf etwas warten, das sie sich von meiner Anwesenheit versprochen hatte. Ich seufzte, stand auf, schulterte meinen Rucksack, der Vogel erhob sich kreischend und verschwand.
Bei einem halb verfallenen Jägerzaun am Ende des Grundstücks sah ich ein weiteres Schild, kleiner, aber im gleichen Blau mit weiÃer Schrift gemalt wie die anderen beiden. Dieses war jedoch angeschraubt:
Privatweg!
Betreten widerruflich Auf eigene Gefahr.
Steine sammeln verboten!
Die Eigentümerin.
Es las sich herrschaftlich-aristokratisch: » Die Eigentümerin«. Ihre Durchlaucht, Gräfin von und zu Kroix, gibt sich die Ehre, die Grenzen ihrer Besitztümer zu markieren: Hände weg von meinen Ländereien, hier gibt es nichts zu holen, die Steine werden täglich nachgezählt! Mir fiel ein, was Markieren im Tierreich bedeutete. Die Methode hier roch wenigstens nicht.
Der schmale Pfad drückte sich an der Uferböschung entlang, weiter hinten war eine kleine Ansammlung von Häusern zu erkennen, das Dorf, wie ich vermutete. Ich hob einen Kiesel mit zweifarbigen Einsprengseln auf. Er lag gut in der Hand.
Nach einigen hundert Metern passierte ich einen weiÃ-roten Schlagbaum, nahe dem ein Holzhaus, eigentlich mehr eine Hütte stand. Sie schien bewohnt zu sein. In den Fenstern standen Tontöpfe mit Kräutern, auf der Eingangsstufe lag, achtlos hingeworfen, ein Paar schmutzige Lederstiefel mit Schnalle am Schaft, wie man sie auf alten Motorrädern trug. Die Läden waren im gleichen Blauton gestrichen wie die vom Palau. Im Vorgarten lag ein hölzernes Ruderboot zwischen gepflegt aussehenden Gemüsebeeten. Hinter dem Schlagbaum wandelte sich der holprige Strandpfad in einen gepflasterten, säuberlich mit Randsteinen befestigten Weg. Ich wollte bis Halsung laufen, man konnte sich, das Meer zur Linken, nicht verirren, und Zeit hatte ich ja, mehr als mir lieb war.
Was, wenn ich einfach immer weiterliefe, über Halsung und seine Bushaltestelle hinaus, an Fehmarn vorbei, der Küste entlang, runter bis zur Lübecker Bucht? Anheuern, dachte ich, das wäre keine schlechte Idee. Die Hafengesellschaft würde schon jemanden zum Gemüseputzen brauchen, auf einem Frachter Richtung Helsinki, wo der dicke,
Weitere Kostenlose Bücher