Die Rose der Highlands
Prolog
H aus und Schuppen brannten lichterloh. Es hatte einen furchtbaren Knall gegeben, als
der Whisky explodiert war. Der junge Mann selbst war geradewegs ins Freie
geschleudert worden. Dort lag er nun auf dem Waldboden, zusammengekrümmt, mehr
tot als lebendig. Dann vernahm er die Schreie. Die verzweifelten Schreie seiner
Frau, die aus dem Inneren der Hütte anklagend durch den Monaughty Forest
schallten. Das glaubte er jedenfalls. Doch keiner auÃer ihm konnte sie hören.
Auf allen Vieren kroch er zur Hütte zurück. Höllische Schmerzen im
Brustkorb quälten ihn, aber er schleppte sich bis zur Tür. Aus dem Inneren der
Hütte quoll ihm Rauch entgegen. Er stieà einen gellenden Schrei aus und
versuchte, durch die Rauchwand hindurch zu ihr zu gelangen. Doch dann überfiel
ihn ein fürchterlicher Husten, der seinen Körper durchschüttelte und ihn
erschöpft zu Boden sinken lieÃ. Wieder drang ein Schrei aus seiner Kehle, nur
dieses Mal war er schwächer, beinahe kläglich. Mit letzter Kraft richtete er
sich zu seiner vollen GröÃe auf und wankte ins Haus. Dort verschaffte er sich
Zutritt zu der kleinen Kammer, aus der ihn die Wucht der Explosion wenige
Augenblicke zuvor durch das offene Fenster ins Freie geschleudert hatte. Ein
Zufall, denn er hatte es gerade schlieÃen wollen. Er packte den leblosen Körper
der zarten Frau, den er wegen der Rauchentwicklung nur schemenhaft erkennen
konnte. Mit ihr im Arm stolperte er halb blind bis vor die Tür. Dort versagten
ihm seine Kräfte endgültig den Dienst, und er sackte stumm in sich zusammen.
Als er erwachte, spürte er als Erstes das zerstörerische Feuer in
seinen Lungen. Er fuhr auf, doch nicht seine lichterloh in Flammen stehende
Hütte lieà ihn in unmenschliches Klagen ausbrechen, sondern der entsetzliche
Anblick seiner Frau. Die Wucht der Explosion hatte ihren Bauch aufgerissen.
Dort, wo ihr Kind heranwachsen sollte, klaffte eine blutige Wunde. Das leblose
Fleischbündel war das Ungeborene. Es wäre ein kleines Mädchen gewesen. Er warf
sich über den Körper seiner Frau, als könne er sie noch beschützen. Dann
schüttelte er ihren leblosen Körper und rief immer wieder verzweifelt ihren
Namen, doch sie schlackerte nur wie eine Puppe in seinen Armen hin und her. Er
nahm ihr Gesicht in beide Hände und bedeckte es mit Küssen, so, als könne er
sie damit zum Leben erwecken. Vergeblich!
Ich muss doch für ihn sorgen, dachte er verzweifelt, obwohl ihm eher
zum Sterben zumute war als zum Leben.
Der Mann fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Seine Hand
war rot von seinem Blut, als er sie nun betrachtete, als gehöre sie gar nicht
zu ihm.
Der Mann rang mit sich. Sollte er dem armen Kind sagen, dass er die
Kerzen im Schuppen hatte brennen lassen, um rasch seine männliche Lust zu
befriedigen? Nein, das konnte er ihm nicht antun. Er musste einen Schuldigen
finden, und er wusste auch schon, wen!
»Ich verfluche sie!«, wisperte der Mann mit letzter Kraft. »Ich
verflâ¦Â« Er brach mitten im Satz ab. Sein Kopf sackte leblos zur Seite.
1. Teil
Lili und ihre Töchter
Im Tal von Strathconon, Winter 1931
1
D as Wetter tobte an diesem Spätnovembertag genauso wild
durch das Tal von Strathconon wie im Jahr zuvor. Der Sturm, der von Westen kam,
lieà die Fenster erzittern und die Türen klappern. Hinzu kam der Regen, der auf
das Schieferdach des viktorianischen Herrenhauses und gegen die Fenster
prasselte. Bei diesem Wetter wagten sich nicht einmal die Hunde vor die Tür.
Die beiden Hündinnen, Jacky und Patsy, hatten sich dicht beieinander unter der
Treppe eingerollt.
Als sie bei der Garderobe war, blieb sie abrupt stehen und
betrachtete missbilligend ihr Spiegelbild. Die Witwentracht machte sie uralt
und blass. Dabei war sie heute gerade einmal zweiundvierzig Jahre alt geworden.
Noch kein Alter, um wie die eigene GroÃmutter auszusehen, dachte sie seufzend.
Doch selbst GroÃmutter Mhairie hatte bis zu ihrem Tod mit über neunzig eine
weitaus bessere Figur gemacht.
Ich muss Lady Caitronias Flurmöbel durch etwas Neues ersetzen, das
mir mehr entspricht, ging ihr durch den Kopf, während sie eingehend die
viktorianische Garderobe aus Mahagoni musterte. Sie war ein selten schönes
Stück, eines derer, die zwar sehr elegant waren, aber Lili schmerzhaft an jene
Zeit erinnerten, die sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis
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