Die Nebel von Avalon
Kind.
Die alte Gwen saß in einer Ecke des Zimmers und war eingenickt. Igraine wollte sie nicht wecken; sie streifte ihr Alltagskleid aus ungefärbter Wolle ab und legte schnell ihr schönes Gewand an, das am Hals mit einem seidenen Band geschnürt wurde. Gorlois hatte es ihr vom Markt in Londinium mitgebracht. Sie steckte sich ein paar Silberringe an, die sie seit ihrer Kindheit besaß,… jetzt paßten sie nur noch an die beiden kleinen Finger. Um den Hals legte sie eine Bernsteinkette, auch ein Geschenk von Gorlois. Das Kleid war rostrot; darüber zog sie eine grüne Tunika. Sie suchte ihren geschnitzten Hornkamm, setzte sich auf eine Bank und kämmte geduldig Strähne um Strähne. Aus einem anderen Zimmer drang lautes Klagen, und Igraine wußte, daß die Amme sich um Morgaines Haare kümmerte.
Das Geschrei brach plötzlich ab; vermutlich war Morgaine mit einem Klaps zum Schweigen gebracht worden, oder Morgause kämmte sie selbst mit geschickten und geduldigen Fingern. Sie tat das manchmal, wenn sie guter Laune war. Igraine wußte, daß ihre jüngere Schwester auch gut spinnen konnte, wenn sie nur wollte; denn alles ging ihr leicht von der Hand, sei es Kämmen, Karden oder Kuchenbacken für das Julfest.
Igraine flocht die Haare zu einem Zopf und steckte ihn mit einer goldenen Spange auf. Den Umhang hielt sie mit ihrer schöngearbeiteten goldenen Brosche zusammen. Dann betrachtete sie sich in dem alten Bronzespiegel (wie man sagte, stammte er aus dem fernen Rom), einem Hochzeitsgeschenk von Viviane, ihrer Schwester. Sie schnürte sich das Gewand und spürte, daß ihre Brüste sich kaum verändert hatten. Ein Jahr war vergangen, seit sie Morgaine nicht mehr stillte; und die Brüste waren nur etwas weicher und schwerer geworden. Igraine wußte, daß sie wieder so schlank war wie früher, denn das rostrote Gewand war einst ihr Hochzeitskleid gewesen, und die Seidenbänder spannten sich nicht, als sie bedächtig die Schleifen band. Wenn Gorlois zurückkehrte, würde er wieder das Bett mit ihr teilen.
Als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, lag Morgaine immer noch an ihrer Brust, und er hatte ihrer Bitte nachgegeben, das Kind auch noch die Sommermonate über stillen zu dürfen, weil damals so viele kleine Kinder starben. Igraine wußte, daß Gorlois unzufrieden war, denn mit Morgaine hatte er nicht den Sohn, den er sich so sehnlichst wünschte – für diese Römer zählte nur die männliche Linie, anstatt vernünftigerweise die Erbfolge durch die Mutter anzuerkennen.
Es war wirklich unsinnig, denn wie konnte ein Mann mit Sicherheit wissen, daß er der Vater eines Kindes war? Natürlich machten diese Römer großes Aufhebens darum, daß vielleicht jemand mit ihren Frauen schlief, sperrten sie sogar ein und spionierten ihnen nach.
Igraine mußte nicht überwacht werden. Ein Mann war bereits schlimm genug; wer würde sich andere wünschen, die noch schlimmer sein mochten?
Obwohl Gorlois sich sehnlichst einen Sohn wünschte, hatte er nachgegeben. Igraine durfte Morgaine weiterhin ins Bett nehmen und stillen. Er blieb ihr sogar fern und schlief nachts bei ihrer Kammerfrau Ettarr, damit sie nicht wieder schwanger wurde und die Milch versiegte. Auch Gorlois wußte, daß viele Neugeborene starben, weil man sie entwöhnte, ehe sie Fleisch und hartes Brot kauen konnten. Kleine Kinder, die mit Hafergrütze ernährt wurden, blieben kränklich.
Außerdem gab es im Sommer kaum Ziegenmilch, die sie hätten trinken können; Kuhmilch oder Stutenmilch führte bei ihnen oft zu Erbrechen und Tod, oder sie bekamen Durchfall und starben ebenfalls. Deshalb hatte er Morgaine an ihrer Brust gelassen, und so konnte der erhoffte Sohn erst eineinhalb Jahre später geboren werden. Für dieses Verständnis war sie Gorlois zutiefst dankbar. Jetzt würde sie sich bestimmt nicht beklagen, selbst wenn sie schon bald wieder schwanger war.
Ettarrs Bauch begann sich bald zu wölben, und sie hatte ihn stolz zur Schau getragen. Würde
sie
dem Herzog von Cornwall einen Sohn gebären? Igraine schenkte ihrer Kammerfrau keine Beachtung; Gorlois hatte noch andere Bastarde. Einer seiner Söhne begleitete ihn sogar auf diesem Feldzug und war mit ihm im Lager des Feldherrn Uther. Aber
Ettarr war krank geworden und hatte eine Fehlgeburt gehabt. Igraine besaß genug Takt, Gwen nicht zu fragen, warum sie so zufrieden lächelte. Für Igraines Seelenfrieden wußte die alte Gwen zuviel über Kräuter.
Eines Tages,
beschloß sie bei sich,
werde ich sie zum
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