Die Pension Eva
den Schmerz darüber, dass er Angela nicht mehr sehen würde.
»Jetzt kann ich Un-zucht trei-ben!«, dachte er stolz.
Auf dem Weg zu Ciccio kam ihm der Gedanke, Angela habe genau gewusst, dass er nicht zur Messe gegangen war. Sie hatte nur ein durchsichtiges Unterkleid getragen, weil sie ahnte, was geschehen würde, und den Topf hatte sie mit Absicht fallen lassen, damit er in die Küche kam, wo sie schon auf ihn wartete. Das alles hatte sie getan, um ein letztes Mal mit ihm zusammen zu sein.
Aber stimmte es wirklich, dass sie Marco nicht heiraten wollte, oder hatte sie es nur gesagt, um ihm die Erinnerung an sie zu versüßen? Erstaunt stellte er fest, dass es ihm gar nicht so wichtig war. Vielleicht war auch das ein Zeichen dafür, dass er nun zum Manne geworden war.
Ciccio beglückwünschte ihn zu seiner neuen langen Hose, er selbst trug schon seit ein paar Monaten eine. Sie beschlossen, einen Spaziergang zur Mole zu machen. Irgendwann konnte Nenè nicht mehr an sich halten und erzählte Ciccio, was er mit Angela erlebt hatte. Beim Reden hielt er immer wieder die Hand an die Nase und roch daran.
»Kann ich vielleicht mal erfahren, was zum Teufel du die ganze Zeit mit deiner Hand machst?«, fragte Ciccio.
»Ich rieche an ihr. Sie duftet noch nach Angela.«
»Wirklich? Lass mich mal riechen.«
»Nein.«
»Stell dich nicht so an, ich klau sie dir ja nicht. Ich will nur mal kurz dran riechen, und fertig.«
»Nein.«
Er wusste nicht, warum er sich so beharrlich weigerte. Aber er spürte, dass es richtig war.
Verärgert kletterte Ciccio vom Felsen herunter und ging allein in die Stadt zurück.
Nenè blieb noch eine Weile sitzen und sah den Segelbooten am Horizont nach. Hin und wieder roch er an seiner Hand. Ganz allmählich wurde in der salzigen Meeresluft Angelas Duft von Zimt und Muskat schwächer.
Der Wunsch, mit einem anderen Mädchen zu erleben, was er mit Angela erlebt hatte, begann in ihm zu reifen, als seine Cousine gerade mal einen Monat fort war.
Tagsüber war er so beschäftigt, dass er nicht darüber nachdachte. Er fuhr morgens mit dem Bus ins Gymnasium nach Montelusa, machte nachmittags mit Ciccio zusammen Hausaufgaben, streunte anschließend mit ein paar Freunden in der Gegend herum oder ging ins Kino. All das lenkte ihn ab. Samstags tobte er sich bei der Versammlung der Faschisten aus, beim Hochsprung, Bockspringen, Hundertmeterlauf, Tauziehen, um abends todmüde nach Hause zu kommen und gleich einzuschlafen. Aber es half nichts. Egal, wie erschöpft er war, sobald er sich hinlegte, begann die Qual.
Plötzlich waren die Bilder von Angela wieder da. Wie im Kino sah er sie beide wieder Vor sich, und er streichelte in Gedanken erneut ihren zarten und festen Körper. Es machte ihn rasend, es nahm ihm den Atem.
»Ich kann nachts nicht mehr schlafen, Ciccio.«
»Wenn es dich so stark überkommt, dann hilf doch mit der Hand ein wenig nach.«
»Das habe ich schon probiert.«
»Und?«
»Es hat mir nicht gefallen. Zuerst musste ich lachen, und dann bin ich auf einmal ganz traurig geworden.«
»Ach je, bist du eigenartig, Nenè! Aber konntest du danach wenigstens einschlafen?«
»Schon.«
»Na, siehst du!«
Jacolino trug inzwischen einen Bart. Er sah aus wie ein Zwanzigjähriger, dabei war er gerade mal siebzehn.
»Na, was sagt ihr? Werde ich es schaffen?«
»Was?«
»In die Pension Eva zu kommen. Vielleicht halten sie mich für älter, und ich muss meinen Ausweis gar nicht vorzeigen.«
Es gelang ihm tatsächlich. Und am nächsten Tag, als die Freunde beisammensaßen, berichtete er jede Einzelheit. Nenè wurde blass vor Neid.
Die Hure, mit der er zusammen war, erzählte Jacolino, sei wunderschön gewesen. Sie heiße Zuna und habe ein elegantes Italienisch gesprochen. Am Schluss habe sie ihn gewaschen und …
»Moment mal«, unterbrach ihn Nenè. »Sie hat dich gewaschen?«
»Ja, mit so einer Art Desinfektionsmittel, ich glaube, es heißt Permanganat. Und was für Hände sie hatte! Ich hätte sofort wieder von vorne anfangen können!«
»Und wieso hast du’s dann nicht getan?«
»Weil es mich das Doppelte gekostet hätte. So viel Geld hatte ich nicht dabei. Da habe ich Zuna versprochen, am nächsten Tag wiederzukommen, aber sie hat mir gesagt, dass alle zwei Wochen andere Huren kämen und sie noch am selben Tag abreisen werde. Na, was soll’s. Hauptsache, sie lassen mich jetzt immer rein, jetzt, wo sie mich kennen.«
»Alle vierzehn Tage kommen andere Huren in die
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