Die Pension Eva
ja›? Ja oder nein?«
»Naja.«
»Mit wem hast du geschlafen?«
»Mit der Witwe Argirò. Aber das tue ich nicht mehr. Matteo ist ein Freund von mir, ich komme mir vor wie ein Verräter.«
Ciccio musste laut lachen.
»Also bist du nun auch bei ihr an Bord gegangen.«
Nenè sah ihn fragend an.
»Was soll das heißen?«
»Weißt du, wie man die Witwe Argirò in der Stadt nennt? Das Schulschiff! Seit fünf Jahren gibt es hier in der Gegend keinen Jungen, der nicht seine erste Kreuzfahrt bei ihr macht.«
Nenè wusste nicht, was er sagen sollte.
»Weiß Matteo davon?«
»Ich denke schon, aber er tut ahnungslos. Du kannst ruhig wieder hingehen, wenn du willst.«
Nenè dachte einen Augenblick nach.
»Nein, ich werde nicht mehr hingehen.«
Wie lange würde es noch dauern, bis er endlich achtzehn war?
Dann könnte er in die Pension Eva und mit so vielen Frauen schlafen, wie er wollte, ohne sich schlecht vorzukommen!
Drittes Kapitel
Im Schatten junger Mädchenblüte
In dieser Zeit war es, dass … er mir neue Horizonte des Glücks eröffnete … er war es, der mich zum ersten Mal in ein Bordell führte.
MARCEL PROUST, Im Schatten junger Mädchenblüte
»Wisst ihr was?«, sagte Jacolino ganz unvermittelt an einem Sonntag Ende Oktober zu seinen Freunden, als sie gemeinsam zur Mole spazierten. »Mein Vater hat die Leitung übernommen.«
Im ersten Augenblick verstanden Nenè und Ciccio gar nicht, wovon er sprach. Sie hatten gerade über den Krieg geredet und darüber, dass es immer schlechter für das Land aussah.
»Was für eine Leitung?«
»Die Leitung der Pension Eva. Habt ihr nicht gehört, dass Don Tano Saraco gestorben ist? Mein Vater ist sein Nachfolger.«
Don Stefano Jacolino war ein ansehnlicher Mann, immer gut gekleidet, redegewandt und tatkräftig, aber mit Vorsicht zu genießen. In seinem Leben hatte er alles angestellt, von Betrug über Veruntreuung bis hin zur Fälschung von Dokumenten. Er war schon mehrmals vorbestraft und schien gerade vom Pech verfolgt, als Adelchi Colleoni ihn in Dienst nahm, der Verbandsführer der Faschisten von Montelusa, von dem man sagte, er habe drei Hoden und müsse sich deshalb ständig abreagieren: Jacolino sollte ihn mit Frauen bekannt machen. Don Stefano Jacolino hatte also gute Voraussetzungen, um die Leitung eines Bordells zu übernehmen.
Zunächst verstanden Ciccio und Nenè nicht, warum diese Nachricht für sie interessant sein könnte.
»Dir kann das ja egal sein, Jacolino, oder? Du gehst ja sowieso schon seit längerem in die Pension. Oder glaubst du, dass dein Vater das dann nicht mehr will?«
»Im Gegenteil. Ich habe Papà damals sogar erzählt, dass ich ins Bordell gehe, und er hat nur geschmunzelt. Er sagt, es sei gut, früh Erfahrungen zu sammeln.«
»Aber für mich und für Ciccio ändert sich ja nichts«, sagte Nenè. »Schließlich lässt dein Vater uns nicht einfach rein, nur weil du unser Freund bist.«
»Nein, das darf er nicht. Aber ich habe mir was einfallen lassen.«
»Wirklich?«, fragte Nenè.
»Und was?«, fragte Ciccio.
»Verrate ich euch bald. Ich habe schon mit meinem Vater geredet, aber ihr müsst euch noch ein kleines bisschen gedulden. Die Pension wird für ungefähr zwei Monate bis Januar geschlossen. Mein Vater möchte sie ganz neu einrichten und lässt eine Freundin aus Palermo kommen, eine richtige Signora.«
Ciccio und Nenè wussten, warum diese Signora kam. Sie würde die Padrona sein, an der Kasse sitzen und die Hurenmarken zählen. Von ihr hing es ab, ob die Pension gut lief oder nicht. Sie musste streng mit den Kunden sein, die sich danebenbenahmen, und zuvorkommend den anständigen Herren gegenüber. Sie musste gelassen und zugleich energisch sein.
Im November und Dezember hatte Nenè ohnehin andere Sorgen. Die Alliierten warfen Bomben auf die Stadt, viele Menschen wurden verwundet, blieben ihr Leben lang von den Angriffen gezeichnet oder starben unter den Trümmern.
Eine Bombe hatte Lorenza Livantino, eine Schulkameradin, getroffen und in Stücke zerfetzt, und Nenè und Ciccio weinten einen ganzen Tag lang. Einen anderen Freund, Filippo Portera, hatte man eher tot als lebendig aus dem zerbombten Haus seines Vaters gezogen. Sein Kopf war halb zertrümmert, und man brachte ihn ins Spital von Montelusa. Nach zwei Wochen fragten Nenè und Ciccio Filippos Vater, Don Vincenzo, wie es seinem Sohn gehe. Der Mann sah sie verzweifelt an.
»Es geht ihm besser, er ist außer Lebensgefahr. Aber er will nicht
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