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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Blick stand. Ihre Lippen kräuselten sich zu einem schwachen Lächeln. »Ich bin die erste, Mr. Harvester, werde aber nur noch kurze Zeit allein bleiben. Wenn ich etwas sehe, was Ihnen entgeht, so liegt das an zwei Vorteilen, die ich Ihnen gegenüber habe. Ich kenne Gisela weitaus länger als Sie; und ich bin eine Frau, was zur Folge hat, daß ich andere Frauen durchschauen kann, wie es Ihnen nie gelingen wird. Ist Ihre Frage damit beantwortet?«
    »Ob andere Ihnen folgen werden, wird sich mit der Zeit erweisen, Gräfin«, erwiderte er kalt. »Hier und heute stehen Sie allein. Danke – wenn schon nicht für die Wahrheit, so doch wenigstens für eine höchst originelle Erfindung.«
    Der Richter sah Rathbone fragend an.
    »Keine weiteren Fragen, Euer Ehren«, erklärte dieser.
    So wurde Zorah entlassen und kehrte an ihren Sitz zurück.
    »Ich würde gerne noch einmal Lady Wellborough aufrufen, wenn es Euer Ehren recht ist«, beantragte Rathbone.
    Mit bleichem Gesicht, das deutlich ihre Verwirrung und Angst verriet, trat Emma Wellborough nach vorne.
    »Lady Wellborough«, begann Rathbone, »Sie waren während Gräfin Rostovas Aussage zugegen…«
    Sie nickte, und als sie merkte, daß das nicht genügte, bestätigte sie es mit zittriger Stimme.
    »Ist Ihre Schilderung der Ereignisse in Ihrem Haus vor Friedrichs Unfall im wesentlichen richtig? Haben Sie so Ihre Tage verbracht?«
    »Ja«, sagte sie sehr leise. »Aber… aber es erschien uns nicht so… so trivial, wie sie es hinstellt. Wir waren wirklich nicht so … betrunken…« Ihre Stimme erstarb.
    »Wir fällen keine Urteile«, versicherte Rathbone ihr. Im selben Atemzug merkte er, daß das gelogen war. Alle in diesem Saal fällten Urteile, nicht nur über sie, sondern über ihre gesamte Klasse, über die Königsfamilien von Felzburg und auch von Großbritannien. »Das einzige, was wir wissen müssen«, fuhr er etwas heiser fort, »ist, ob Sie sich so die Zeit vertrieben und ob der Prinz und die Prinzessin tatsächlich auf sein Drängen hin permanent eine so enge Beziehung pflegten, wie es uns beschrieben wurde. Stimmt es, daß sie auszubrechen versuchte, um ein bißchen Zeit für sich allein oder mit anderen Menschen zu finden, aber durch sein Klammern und seine Forderungen daran gehindert wurde?«
    Er sah ihr an, wie unangenehm ihr diese Situation war. War er zu weit gegangen?
    Sie zögerte so lange, daß er den eigenen Herzschlag spürte. Sein Puls raste dahin. Er kam sich vor wie ein Fischer, der seine Beute nicht sofort an Land zieht. Bis zum letzten Moment konnte er noch alles verlieren.
    »Ja«, gestand Lady Wellborough schließlich. »Ich beneidete sie. Für mich war ihre Ehe die größte Liebesgeschichte der Welt, das, wovon jedes Mädchen träumt…« Sie gab ein abgehacktes Lachen von sich, das schnell erstickte. »Ein stattlicher Prinz… Friedrich sah ja so gut…, solche schönen Augen, und diese herrliche Stimme!… Ein stattlicher Prinz, der sich leidenschaftlich in eine Frau verliebt, ihretwegen sogar zum Verzicht auf die Welt bereit ist, solange sie ihn nur liebt.« Tränen standen in ihren Augen. »Und dann davonsegeln und immer glücklich in einer so wunderbaren Stadt wie Venedig sein! Ich hätte das nie für ein Gefängnis gehalten, in dem man weder frei noch allein sein kann…« Sie hielt abrupt inne. Ein finsterer Gedanke schien sie zu überwältigen. »Wie… schrecklich!«
    Harvester hatte sich erhoben, verzichtete aber auf eine Unterbrechung und setzte sich wieder stumm.
    »Lady Wellborough«, sagte Rathbone nach kurzem Warten , »ist Gräfin Rostovas Beschreibung von Friedrichs und Giselas Zimmer zutreffend?«
    »Ja.«
    »Sahen Sie die Blumen mit eigenen Augen?«
    »Sie meinen die Maiglöckchen? Ja, sie verlangte sie. Warum?«
    »Das ist alles, danke. Wenn Mr. Harvester keine Fragen an Sie hat, können Sie gehen.« Er sah seinen Kontrahenten an.
    Harvester schüttelte den Kopf. »Nein, im Moment sehe ich keinen Anlaß dazu.«
    »Euer Ehren, dann rufe ich Dr. John Rainsford auf. Er ist mein letzter Zeuge.«
    Dr. Rainford war ein junger blonder Mann mit klugem, ausdrucksstarkem Gesicht, das sofort den Idealisten verriet. Auf Rathbones Bitte hin wies er sich als Arzt und Spezialist für Toxikologie aus.
    »Dr. Rainsford«, begann Rathbone, »angenommen, Sie hätten einen Patienten mit den Symptomen Kopfschmerzen, Halluzinationen, kalte, klamme Haut, Magenschmerzen, Übelkeit, verlangsamter Herzschlag, der schließlich ins Koma verfiele und

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