Die schoene Tote im alten Schlachthof
Legionär« an der Mauer der Kunstakademie
entlangging, musste der Trierer Hauptkommissar an den Titel der Show von Mike
Krüger denken, bei dessen Witzen er sich regelrecht auf die Schenkel schlagen
konnte. Seinem Cousin Gereon wäre das niemals passiert. Der war jahrelang
Hausmeister an der Kunstakademie gewesen, aber nachdem er im Lotto gewonnen
hatte, war er gemeinsam mit seiner Frau ins sonnige Florida entschwunden, wo er
heute eine Schwimmschule betrieb. Lediglich zu Ostern schickte er noch
Ansichtskarten in die alte Heimat. Ferschweiler, der niemals aus seiner Stadt, wie er Trier immer nannte, weggehen würde,
konnte, anders als sein Cousin, sowohl mit der weiten Welt als auch mit
moderner Kunst nichts anfangen. Vielmehr machte er sich oft gemeinsam mit
seinen Freunden oder Kollegen über das lustig, was an der Akademie gemacht
wurde. »Informel, das geht schnell«, witzelten sie beim Bier, ohne zu wissen,
was mit Informel eigentlich gemeint war. Kunst war für Ferschweiler ein Buch
mit sieben Siegeln, Picasso nur ein Weiberheld und Rubens lediglich ein Freund
üppiger Frauen. Seine Welt war das nicht. Wozu brauchte man schon Kunst? Ihm
jedenfalls lag nichts daran.
Für Ferschweiler war der 10. November dieses Jahres kein besonders
guter Tag gewesen: Ein Mann hatte beim Grillen – im November! Ferschweiler
konnte es noch immer nicht fassen – mit Freunden den Versuch unternommen,
sich als Feuerschlucker zu betätigen. Er hatte seinen Mund mit Spiritus gefüllt
und eine Fackel an die Lippen geführt, um beim Ausspucken des Alkohols eine
zirkusreife Stichflamme zu produzieren. Leider hatte er damit keinen Erfolg
gehabt und war zwei Stunden später im Brüderkrankenhaus gestorben. Darüber
hinaus hatte es im Alleencenter neben dem Hauptbahnhof eine Messerstecherei vor
dem Leergutrückgabeautomaten gegeben, und in einer Fußgängerunterführung am
Moselufer war ein Toter gefunden worden. Offensichtlich ein Obdachloser, die Spurensicherung
hatte jedoch keine Anzeichen für ein Gewaltverbrechen feststellen können.
Anscheinend hatte der Tote bereits länger unbeachtet dort gelegen.
Trier, wie es leibt und lebt, dachte Ferschweiler. Es schien keine
Rücksichtsnahme mehr in seiner Stadt zu geben, keiner übernahm noch soziale
Verantwortung für seine Mitmenschen, vor allem nicht für diejenigen, denen es
nicht so gut ging wie den meisten anderen. Seit er bei der Trierer Kripo war,
hatte Ferschweiler nur wenige derart seltsame Tage wie den heutigen erlebt. In
Trier ging es sonst eher gemütlich zu. Deshalb war er jetzt froh, bald in
seinem Stammlokal sitzen und sich von seiner alten Liebe Rosemarie einen
Strammen Max zubereiten lassen zu können. Sie machte den besten, davon war
Ferschweiler überzeugt. Bei dem Gedanken an knusprige Spiegeleier auf gutem,
deftig geräuchertem Eifeler Schinken lief ihm bereits das Wasser im Mund
zusammen.
Früher war der Abschnitt der Aachener Straße zwischen der
Römerbrücke und dem Bahnübergang an der Kreuzung von Martinerfeld, Hornstraße
und Kölner Straße geradezu eine Kneipenmeile gewesen. Früher, als es noch den
Schlachthof gegeben hatte. Aber seit der Schlachthof geschlossen worden war und
die mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Gebäude als Domizil der Kunstakademie
herhalten mussten, hatte eine Kneipe nach der anderen dichtgemacht.
Damals hieß sein Lieblingslokal »Zum alten Schlachthof«. Hinter
gemütlichen Butzenglasscheiben mit Brauereimotiven ließ sich ungeniert bei
Frikadelle mit Brot auch eine zweite Porz Viez genießen, ohne dass man von
anderen Gästen allzu schief angeschaut wurde. Auch das »Luxemburger Eck« hatte
bei Ferschweiler hoch im Kurs gestanden, denn dessen Wirtin war Rosi gewesen,
die er seit seiner Schulzeit kannte. Als aber die Bitburger Brauerei kräftig
die Pacht erhöht und sich zudem die Stadt überlegt hatte, den westlichen
Brückenkopf der Römerbrücke »aufzuwerten«, wie es im Verwaltungsdeutsch der
Beschäftigten am Augustinerhof hieß, hatte Rosi ihre Kneipe kurzerhand
geschlossen und war in die seinerzeit leer stehende Gaststätte »Zum Standhaften
Legionär« knapp hundert Meter weiter gewechselt. Ihr neues Lokal betrieb sie
nun schon seit fünf Jahren, leider ohne sonderlich großen Erfolg.
Ferschweilers Stadtteil, Trier-West, war eben nicht gerade ein
Anziehungspunkt für die vielen Touristen, die seine Stadt besuchten, ja nicht
einmal für die meisten Trierer selbst. Sein Freund Berthold, der auf dem
Gelände
Weitere Kostenlose Bücher