Die Schule der Robinsons
20. Januar, lichtete der »Dream« unter der Führung des Capitäns Turcotte die Anker. Um acht Uhr Morgens sah Godfrey nicht ohne einige Bewegung am westlichen Horizonte gleich einem Schatten die Insel zerfließen, auf der er über fünf Monate lang eine so rauhe, aber zeitlebens unvergeßliche Schule durchgemacht hatte.
Bei herrlichem Meere und günstigem Winde, der die Mitbenützung der Segel gestattete, ging die Fahrt rasch von statten. Jetzt steuerte der Dream gerade auf sein Ziel los, suchte Niemand zu täuschen, machte keine unzähligen Umwege, wie bei der ersten Reise. Jetzt verlor er in der Nacht nicht wieder den Weg, den er im Laufe des Tages zurückgelegt hatte.
Am 23. gegen Mittag legte er denn, nachdem er durch das Goldene Thor in die weite Bucht von San Francisco eingelaufen, ruhig am Werft der Merchant-Street an.
Aber was sah man da?
»Onkel Will!… Phina!…« (S. 203.)
Man sah aus dem Raum einen Mann heraufsteigen, der, nach Erkletterung des »Dream« in der Nacht, als das Schiff noch vor der Insel Phina ankerte, sich auf demselben zum zweiten Male versteckt gehalten hatte.
Und wer war dieser Mann?
Es war der Chinese Seng-Vou, der die Rückreise ebenso wie die Herfahrt zu benützen wußte. Seng-Vou trat auf William W. Kolderup zu.
»Möge Herr Kolderup mir vergeben, sagte er sehr höflich. Als ich an Bord des Dream Passage nahm, setzte ich voraus, er dampfte direct nach Shangai, von wo ich in meine Heimat zurück wollte; jetzt, da er wieder in San Francisco eingelaufen ist, schiffe ich mich aus.«
Alle standen verwundert vor dieser Erscheinung und wußten nicht, was sie dem, alle lächelnd betrachtenden Eindringlinge antworten sollten.
»Du bist aber doch, sagte endlich William W. Kolderup, nicht sechs Monate lang im Grunde des Schiffsraumes geblieben, mein’ ich?
– Nein, bestätigte Seng-Vou.
– Und wo hast Du Dich verborgen?
– Auf der Insel.
– Du? rief Godfrey.
– Ja, ich!
– Und jener Rauch also –
– Nun, ich mußte mir doch Feuer machen.
– Und es kam Dir gar nicht in den Sinn, Dich uns zu nähern, das gemeinschaftliche Leben zu theilen?
– Ein Chinese lebt am liebsten allein, antwortete Seng-Vou trocken. Er genügt sich selbst und braucht keinen Andern!«
Mit diesen Worten verneigte sich der originelle Kauz gegen William W. Kolderup, verließ das Schiff und verschwand.
»Das ist das Holz aus dem die richtigen Robinsons geschnitzt werden, rief der Onkel Will. Sieh’ den an und prüfe, ob Du ihm gleichst. Die angelsächsische Race wird Mühe haben, Leute solchen Schlages in sich aufgehen zu lassen.
– Gut, sagte Godfrey, die Raucherscheinungen sind nun durch die Anwesenheit Seng-Vou’s erklärt; aber die wilden Thiere?…
– Und mein Krokodil!« setzte Tartelett hinzu.
Der hierüber wirklich verlegene Onkel Will, der sich in diesem Punkte nun selbst mystificirt fühlte, strich mit der Hand über die Stirne, wie um eine Wolke zu verjagen.
»Das werden wir später erfahren, sagte er. Wer nur nachzuforschen versteht, dem erklärt sich zuletzt noch Alles!«
Wenige Tage später wurde mit höchstem Glanze die Hochzeit des Neffen und des Mündelkindes William W. Kolderup’s gefeiert. Wie die jungen Gatten von den Freunden des reichsten Handelsherrn geehrt und beglückwünscht wurden, das mag sich der freundliche Leser selbst ausmalen.
Bei der Ceremonie zeichnete sich Tartelett durch tadellose Haltung, durch Vornehmheit, durch sein »
comme il faut
« aus, und der Schüler machte dem berühmten Lehrer des Tanz-und Anstandsunterrichts alle Ehre.
Tartelett hatte aber noch einen Gedanken. Da er sein Krokodil nicht als Busennadel verwenden konnte – was er sehr bedauerte – beschloß er, es einfach ausstopfen zu lassen. So würde das Ungeheuer gut präparirt und mit weit offenem Rachen einen Hauptschmuck seines Zimmers abgeben.
Das Krokodil wurde also einem berühmten Conservator zugesendet, der es wenige Tage später nach dem Hôtel zurücklieferte. – Da liefen Alle zusammen, um das Unthier anzustaunen, dem Tartelett um ein Härchen bald als Futter gedient hätte.
»Sie wissen doch, Herr Kolderup, begann der Conservator, woher dieses Thier stammt? Er überreichte dabei seine Rechnung.
– Nein, antwortete Onkel Will.
– Es trug aber auf seinem Brustpanzer ja ein aufgeklebtes Etiquette.
– Ein Etiquette? rief Godfrey.
– Hier ist es,« sagte der berühmte Conservator.
Er zeigte dabei ein Stück Leder vor, auf dem, mit unauslöschlicher
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