Die Seelenzauberin
ist es.«
»Das Treffen wurde aus den bekannten Gründen auf morgen vertagt. Der Erzprotektor schickt Diener aus, um alle Betroffenen in Kenntnis zu setzen. Ich habe mich erboten, Euch die Nachricht persönlich zu überbringen.« Die klaren, tief in den Falten der pergamentdünnen Haut liegenden Augen taxierten sie, gaben aber selbst nichts preis. »Ich dachte, wir könnten uns ein wenig unterhalten.«
»Selbstverständlich.« Sie nickte, hoffentlich angemessen freundlich, obwohl ihr Puls raste. In jeder anderen Gesellschaft hätte sie ihr Herz mit Zauberei beruhigen können, aber in Gegenwart eines Magisters war das viel zu gefährlich. Lieber benahm sie sich wie eine Morata und ließ es darauf ankommen. »Eure Aufmerksamkeit ehrt mich sehr.«
Die Greisenlippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. »Rhys hält große Stücke auf Euch.«
Sie senkte, hoffentlich gebührend bescheiden, den Kopf. »Auch davon fühle ich mich geehrt.«
»Was für ein Glück, dass er Euch gerade zu diesem Zeitpunkt begegnete. Sonst säße er womöglich immer noch als Gefangener in Alkal – oder hätte noch Schlimmeres erdulden müssen.«
»Ganz recht.« Es kam nicht darauf an, was sie sagte; ihm ging es darum, wenn nicht durch Zauberei, dann mit schlichter Menschenkenntnis ihre geheimsten Gedanken in Erfahrung zu bringen. Ein Mann wie er konnte mehr aus der Art ablesen, wie sie einer Frage zuhörte, als aus den Worten, mit denen sie darauf antwortete. »Sein Auftrag stand ganz offensichtlich unter dem Schutz der Götter.«
Ramirus lachte leise; in diesem Moment hätte sie ihre Seele verkauft, um den Grund seiner Belustigung zu erfahren. Er strich sich mit runzeliger Hand den langen Bart und bemerkte: »Ich war erstaunt, dass Ihr bei dem Treffen so wenig zu sagen hattet.«
Sie zuckte die Achseln. »Niemand hat mich nach meiner Meinung gefragt.«
»Und wenn man es getan hätte?«
Nun setzte sie ein geheimnisvolles Lächeln auf. »Das wäre auf die Frage angekommen.«
»Wie auch immer, ich bin sicher, Ihr hättet einiges beitragen können. Ihr wart bei Rhys, als er den zerbrochenen Speer fand. Ihr habt dieselben Karsi-Zeichen gesehen wie er und habt Euch sicherlich den Kopf über ihre Bedeutung zerbrochen.«
»Ja, ganz recht.«
»Und ohne Zweifel habt Ihr auch eigene Beobachtungen gemacht.«
»Mag sein.« Sie kam sich vor wie eine Fliege am Rand eines Spinnennetzes. Worauf wollte er mit seinen Fragen hinaus?
»Und da Ihr eine Hexe seid, habt Ihr die Umstände natürlich auch mit dem Gespür einer Hexe für die Ausstrahlung übernatürlicher Kräfte geprüft.«
Sie spürte, wie sich ihr die Nackenhaare sträubten. »Ich verstehe nicht recht, was Ihr damit sagen wollt.«
»Ich denke, Ihr versteht mich recht gut.« Der Angriff wirkte umso schärfer, weil seine Stimme dabei ruhig blieb. »Ihr wusstet genau, dass Ihr an die Geheimnisse des Speers aus größerer Entfernung nicht mehr herankommen würdet. Es sei denn, Ihr hättet etwas mitgenommen, was Euch an einem Ort, über den der Heilige Zorn keine Macht hatte, als Anker dienen konnte.«
Sie spürte selbst, wie die Überraschung in ihren Augen aufblitzte. Gut gemacht , rief sie ihm in Gedanken zu, während sie sich zugleich bemühte, jede weitere Regung aus ihren Zügen zu verbannen. Ich hätte mir denken können, dass Ihr das erraten würdet. Ja, ich hätte darauf gefasst sein müssen. »War das eine Frage?«
Ein seltsam kaltes Lächeln breitete sich über sein Gesicht. »Nein. Keineswegs. Die Frage lautet … was habt Ihr an Erkenntnissen gewonnen, von denen Rhys nichts weiß, und warum überlasst Ihr sie nicht denen, die sie brauchen?«
»Die Frage geht von vielen Voraussetzungen aus.«
»Die aber nicht zwangsläufig falsch sind.« Die kalten Augen glitzerten gefährlich.
Sie zuckte die Achseln. »Heute hat mich niemand danach gefragt. Sollte das morgen anders sein, werden wir sehen, wie meine Antwort ausfällt.« Sie hielt inne und überlegte, wie sie die Führung des Gesprächs wieder an sich bringen könnte. »Oder gibt es einen Grund, warum ich schweigen sollte?«
»Ganz im Gegenteil. Ich freue mich auf das, was Ihr zu sagen habt. Ich hatte sogar gehofft, wir könnten in dieser Angelegenheit schon heute ein paar Worte wechseln. Sozusagen ein Gespräch unter Fachleuten .«
Plötzlich wallte kalter Hass in ihr auf. Sie wusste genau, wie Magister über Hexen dachten, die Beziehung war alles andere als kollegial. Es hatte Gründe, warum die Zauberer auch sie
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