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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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Trotz. Der Grund war vielmehr, dass meine Mutter sich so bewusst den gesellschaftlichen Erwartungen widersetzte, dass es fast schon ans Unschickliche grenzte, und deshalb so unberechenbar und respekteinflößend war wie eine Überschwemmung oder ein Waldbrand. Ihre herrische Art und Unbeugsamkeit hätten einem Kirchenältesten gut zu Gesicht gestanden, und die Schicksalsschläge der letzten Jahre hatten sie nur noch härter gemacht. Auf Außenstehende wirkte sie wie eine hübsche, recht kluge Frau, die zwar nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt war. Ihr Gesicht strahlte Gelassenheit aus, wenn es nicht beim Sprechen oder durch aufgewühlte Gefühle in Bewegung geriet. Martha Carrier erinnerte an einen tiefen, ruhigen See. Griff man jedoch ins Wasser hinein, war es eiskalt, und unter der Oberfläche lauerten scharfkantige Felsen und gefährliche Schlingwurzeln. Ihre spitze Zunge konnte einem Mann ebenso schnell den Garaus machen, wie ein Fischer aus Gloucestershire einen Meeraal ausnimmt. Ich weiß, dass ich in meiner Familie und in der Nachbarschaft nicht die Einzige war, die eine Tracht Prügel jederzeit einer von Mutters Gardinenpredigten vorgezogen hätte.
    Während unser Karren langsam an den Feldern vorbeirumpelte, wo sich hohe verkrustete Schneeverwehungen türmten, hielt ich neugierig Ausschau nach Bauerhäusern oder, was noch spannender gewesen wäre, einem Außenposten der Garnison oder einem Galgenhügel, wo an den dicken Ästen der Eichen noch Seilreste baumelten, nachdem der Henker längst den Leichnam abgeschnitten hatte. Angeregt erörterten meine Brüder und ich, wie lange man einen Verurteilten wohl am Seil hängen lassen könne, bevor Sitte und Anstand seine Entfernung erforderlich machten. Es sollte noch eine Weile dauern, bis kleine Kinder von Erhängungen, Auspeitschungen oder den von Neuenglands ehrenwerten Gerichten angeordneten öffentlichen Folterungen ausgeschlossen wurden. In meiner jugendlichen Unschuld hielt ich derartige Bestrafungen damals noch für unumgänglich und fand sie nicht grausamer, als einem Huhn den Hals umzudrehen. Hin und wieder hatte ich auch schon Männer und Frauen am Pranger gesehen und mir mit meinen Brüdern einen Spaß daraus gemacht, mit Abfällen nach ihren eingeklemmten Köpfen zu werfen. Nachdem wir die Shawshin River Bridge überquert hatten, fuhren wie die Boston Way Road entlang, die uns nach Andover bringen würde. Dabei kamen wir an den Häusern unserer neuen Nachbarn, der Osgoods, der Ballards und der Chandlers, vorbei, die alle westlich von uns wohnten. Und dort, direkt vor uns im Osten, erhob sich die südliche Garnison der Stadt, die aus einem massiven, einstöckigen Gebäude bestand. Im Obergeschoss wurden Proviant und Munition aufbewahrt. Da es in der Gegend immer wieder zu Indianerüberfällen kam, waren solche Befestigungen dringend notwendig. Erst im vergangenen Jahr waren bei einem blutigen Angriff auf Dover dreiundzwanzig Menschen getötet und neunundzwanzig Kinder entführt worden, um sie entweder zu behalten oder Lösegeld von ihren Familien zu erpressen. Wir winkten dem Wachmann zu. Doch da die Fensterscheiben gefroren waren, sah er uns nicht und hob auch nicht die Hand, als wir vorbeiratterten. Im Norden der Garnison stand, ein Stück von der Hauptstraße zurückversetzt, das Haus meiner Großmutter. Es war kleiner, als ich es im Gedächtnis hatte, und sah mit seinem spitzen, mit Pech bestrichenen Dach recht altmodisch aus. Als die Tür aufging und Richard herauskam, um uns zu begrüßen, erkannte ich die alte Frau, die ihm folgte, sofort, obwohl seit unserer letzten Begegnung über zwei Jahre vergangen waren. Großmutters Begründung für diese lange Pause lautete, die Fahrt mit dem Karren nach Billerica sei für ihre alten Knochen zu beschwerlich. Außerdem hatte sie meiner Mutter mitgeteilt, sie werde die unsterbliche Seele ihrer Tochter nicht durch die riskante Reise nach Andover in Gefahr bringen, solange meine Eltern nicht an jedem Sabbat das Versammlungshaus aufsuchten. Schließlich könnten wir unterwegs jederzeit von Indianern gefangen genommen und getötet oder von Wegelagerern überfallen werden oder gar in eine Sickergrube fallen und ertrinken - und dann würden unsere Seelen für immer verloren sein. Die jahrelange Trennung von meiner Großmutter war also das Ergebnis der Sturheit meiner Mutter und ihrer Abneigung gegen Gottesdienste.
    Sofort nahm die alte Dame meiner Mutter Hannah ab und bat uns ins Haus, das von einem großen

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