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Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Titel: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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irrte nicht, als ich mein Ohr nicht von dem leisen Rieseln in der hohen Mauer, mein Auge nicht von dem schweigenden Leben des Staubes, das eine Lampe plötzlich erhellte, abwenden konnte. Nein, ich irrte mich nicht, wenn ich von einem zweiten, geheimen, unbeachteten Leben der Dinge sprach! Ich – ich meine es nicht wörtlich, – nicht diese Dinge leben, nicht Basini hatte zwei Gesichter, – aber in mir war ein zweites, das dies alles nicht mit den Augen des Verstandes ansah. So wie ich fühle, daß ein Gedanke in mir Leben bekommt, so fühle ich auch, daß etwas in mir beim Anblicke der Dinge lebt, wenn die Gedanken schweigen. Es ist etwas Dunkles in mir, unter allen Gedanken, das ich mit den Gedanken nicht ausmessen kann, ein Leben, das sich nicht in Worten ausdrückt und das doch mein Leben ist ...
    Dieses schweigende Leben hat mich bedrückt, umdrängt, das anzustarren trieb es mich immer. Ich litt unter der Angst, daß unser ganzes Leben so sei und ich nur hie und da stückweise darum erfahre, ... oh, ich hatte furchtbare Angst, ... ich war von Sinnen ...«
    Diese Worte und Gleichnisse, die weit über Törleß' Alterhinausgingen, kamen ihm in der riesigen Erregung, in einem Augenblicke beinahe dichterischer Inspiration leicht und selbstverständlich über die Lippen. Jetzt senkte er die Stimme, und, wie von seinem Leide ergriffen, fügte er hinzu:
    »... Jetzt ist das vorüber. Ich weiß, daß ich mich doch geirrt habe. Ich fürchte nichts mehr. Ich weiß: die Dinge sind die Dinge und werden es wohl immer bleiben; und ich werde sie wohl immer bald so, bald so ansehen. Bald mit den Augen des Verstandes, bald mit den anderen. ... Und ich werde nicht mehr versuchen, dies miteinander zu vergleichen. ...«
    Er schwieg. Er fand es ganz selbstverständlich, daß er nun gehen könne, und niemand hinderte ihn daran.
    Als er draußen war, sahen sich die Zurückgebliebenen verdutzt an.
    Der Direktor neigte unschlüssig den Kopf hin und her. Der Klassenvorstand fand als erster das Wort. »Ei, dieser kleine Prophet wollte uns wohl eine Vorlesung halten. Aber der Kuckuck mag aus ihm klug werden. Diese Erregung! Und dabei dieses Verwirren ganz einfacher Dinge!«
    »Rezeptivität und Spontaneität des Denkens,« sekundierte der Mathematiker. »Es scheint, daß er zu großes Augenmerk auf den subjektiven Faktor aller unserer Erlebnisse gelegt hat und daß ihn das verwirrte und zu seinen dunklen Gleichnissen trieb.«
    Nur der Religionslehrer schwieg. Er hatte aus den Reden Törleß' so oft das Wort Seele aufgefangen und hätte sich gerne des jungen Menschen angenommen.
    Aber er wußte doch nicht recht, wie es gemeint war.
    Der Direktor jedoch machte der Situation ein Ende. »Ich weiß nicht, was eigentlich in dem Kopfe dieses Törleß steckt, jedenfalls aber befindet er sich in einer so hochgradigen Überreizung, daß der Aufenthalt in einem Institute für ihn wohl nicht mehr der geeignete ist. Für ihn gehört eine sorgsamere Überwachung seiner geistigen Nahrung, als wir sie durchführen können. Ich glaube nicht, daß wir die Verantwortung weiter tragen können. Törleß gehört in die Privaterziehung; ich werde in diesem Sinne an seinen Vater schreiben.«
    Alle beeilten sich, diesem guten Vorschlage des ehrlichen Direktors beizupflichten.
    »Er war wirklich so eigentümlich, daß ich beinahe glaube, er hat Anlage zum Hysteriker,« sagte der Mathematiker zu seinem Nachbar.
    Zu gleicher Zeit mit dem Briefe des Direktors traf ein solcher vonTörleß bei seinen Eltern ein, in welchem er sie um seine Herausnahme bat, weil er sich in dem Institute nicht mehr auf seinem Platze fühle.
     
    Basini war mittlerweile strafweise entlassen worden. In der Schule ging alles den gewohnten Gang.
    Es war beschlossen, daß Törleß von seiner Mutter abgeholt werde. Er nahm gleichgültigen Abschied von seinen Kameraden. Beinahe begann er schon ihre Namen zu vergessen.
    In die rote Kammer war er nie mehr hinaufgestiegen. Das schien alles weit, weit hinter ihm zu liegen.
    Seit Basinis Entfernung war es tot. Fast so, als ob dieser Mensch, der alle diese Beziehungen an sich gekettet hatte, sie nun auch mit sich fortgenommen hätte.
    Etwas Stilles, Zweifelndes war über Törleß gekommen, aber die Verzweiflung war weg. »Es waren wohl nur jene heimlichen Sachen mit Basini, die sie so gesteigert hatten,« dachte er sich. Sonst schien ihm gar kein Grund vorzuliegen.
    Aber er schämte sich. So wie man sich am Morgen schämt, wenn man in der Nacht –

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