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Die Visionen von Tarot

Die Visionen von Tarot

Titel: Die Visionen von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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Inferno steckengeblieben?
    Es schien unklug, es dem Zufall zu überlassen. Es war möglich, eine Animation mehr oder minder durch Eigenentscheidung zu stoppen, aber wenn man einmal darinnen war, wurden Kontrolle oder Ausstieg problematisch. Es war, als würde man ein Flugzeug besteigen – wie er es schon getan hatte! –, das sich als das falsche Gefährt herausstellt, und man kann vor der Landung nicht mehr aussteigen. Lee würde der Hölle, wo immer sie sein mochte, ob Fegefeuer oder nicht, ohne Hilfe nicht entkommen können.
    Bruder Paul konzentrierte sich auf ein im wahrsten Sinne unbekanntes Objekt: Lees mögliche Vorstellung von der Hölle. Es war vermutlich eine recht künstliche, wörtliche Vorstellung, eindeutig christlich, aber nicht notwendigerweise mormonisch, denn das wäre zu offensichtlich. Was für eine Hölle würde sich ein Mormone wohl für Jesus Christus vorstellen? Dorthin mußte Bruder Paul sich wenden.
    Um ihn herum bildete sich ein Szene. Es war ein Feld, das nur zur Hälfte gepflügt war, etwa ein Fünftel Hektar groß. Jenseits, vermutlich in östlicher Richtung, erhob sich die Sonne. In der Ferne sah er einen Turm, der direkt unter der Sonne zu stehen schien – vielleicht der gleiche Turm, den er bei der ersten Tarotvision gesehen hatte. „Der Turm der Wahrheit“, murmelte er.
    Er blickte nach Westen und sah ein tiefes Tal mit gefährlichen Sümpfen und einem häßlichen Gebäude an der tiefsten Stelle. Sein Feld lag zwischen Turm und Senke, das einzige bebaubare Land in Sichtweite. Aber er hatte weder Pferd noch Ochse, um seinen Pflug zu ziehen. Er würde zu einem Nachbarn gehen und dessen Gespann ausleihen müssen, und das bedeutete, das Feld ohne Bewachung zu lassen.
    Nun bewegte sich über den Hang eine buntscheckige Menge auf das Feld zu. Sein Problem war: Wenn er sie nicht fernhalten konnte, würde sie das Feld zertrampeln und die Pflügearbeit von gestern zunichte machen.
    Dann hatte er eine Idee. Vielleicht würden ihm einige von ihnen beim Pflügen helfen!
    Doch als sie näher kamen, verlor er diese Hoffnung. Die Leute schienen ziellos dahinzutreiben. Einige waren fett, andere kränklich, andere mürrisch; keiner von ihnen sah wie ein zuverlässiger Arbeiter aus.
    Aus der anderen Richtung näherte sich aber etwas Vielsprechenderes: ein Pilger in Bauernkleidung mit einem dicken Stab. Wie es in Animationen so geschieht, kam der Pilger gerade in dem Augenblick auf Bruder Pauls Feld an, als die Menschenmenge von der anderen Seite erschien.
    „Wo kommst du her?“ rief jemand.
    „Aus dem Sinai“, antwortete der Pilger. „Vom Grab unseres Herrn. Ich bin eine Weile in Bethlehem und Babylon und Armenien und Alexandria und vielen anderen Orten gewesen.“
    „Kennst du einen Heiligen namens Wahrheit?“ fragte jemand neugierig. „Kannst du uns sagen, wo er lebt?“
    Der Pilger schüttelte den Kopf. „Gott helfe mir. Noch nie zuvor hatte mich jemand nach ihm gefragt. Ich weiß es nicht …“
    „Ich bin auch auf der Suche nach Wahrheit“, sagte Bruder Paul. „Ich habe vor einem Augenblick diesen Turm gesehen. Ich kann euch den Weg zeigen.“
    Zweifelnd sahen sie ihn an. „Du, ein einfacher Bauer? Wer bist du?“
    „Ich bin Paul der Pflüger“, antwortete er – und war schockiert über seine Antwort. Nun erkannte er die Szene: sie entstammte der Vision von Piers Plowman, einem epischen Gedicht aus dem fünfzehnten Jahrhundert von William Langland. Und er spielte die Titelrolle!
    „Ja, Paul“, sagten die Leute. „Wir bezahlen dich, wenn du uns dorthin führst.“
    Aber dort wollte er eigentlich gar nicht hin. Noch nicht. Zuerst mußte er Lee finden. Dann konnte er den Turm suchen, der sich nun hinter Wolken verbarg. Lee war wahrscheinlich in dem Verlies des Bösen, der entsprechenden Version der Hölle.
    Aber weil er sich nun einmal in dieser Vision befand, mußte Paul sich auch der Rolle fügen. Aber vielleicht konnte er sie verändern, während er nach einem Weg suchte, wie er Lee befreien konnte.
    „Nein, ich nehme kein Geld, keinen Schilling“, sagte er zu ihnen. „Ich werde euch den Weg beschreiben – es ist da drüben im Osten –, aber ich muß hierbleiben und mein Feld pflügen.“
    Sie blickten nach Osten. Die Wolken ballten sich zu einem Sturm zusammen. „Wir brauchen einen Führer. Du mußt mit uns kommen.“
    „Ich muß noch einen halben Hektar am Hause hacken“, protestierte Bruder Paul in der Stabreimweise des Gedichts. „Aber wenn ihr mir helft, mein

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