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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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schlug er sich gegen die Stirn, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. »O nein! Ich habe ganz vergessen, dass mein Rasiermesser stumpf ist. Der Meister der Suppenschüssel hat mich heute früh bereits ermahnt, mein Haar zu stutzen, andernfalls hat er mir angedroht, es eigenhändig zu tun. Wenn ich also nicht auch noch deswegen Ärger bekommen will, sollte ich mir unbedingt ein neues kaufen.« Er tröstete sich damit , dass das wenigstens nicht völlig gelogen war. Sein Rasiermesser war wirklich nicht mehr das beste, und der Meister der Suppenschüssel hatte ihn tatsächlich wegen seines zu langen Haares ermahnt. Allerdings hatte er eigentlich nicht vorgehabt , das Messer an diesem Tag zu kaufen. Der Meister der Suppenschüssel hatte so oft etwas an ihm auszusetzen, dass er sich mittlerweile daran gewöhnt hatte. Und sein Haar ging ohnehin niemanden etwas an, solange es ihm nicht bis auf die Schultern herabhing. Das war wenigstens seine Meinung. Rashid hob bedauernd die Schultern. »Tut mir Leid, Freunde, aber ihr werdet wohl ohne mich gehen müssen.«
    »Für dich tut es mir Leid, Rashid«, erwiderte Jamal. »Aber du kannst ja nachkommen, wenn du auf dem Basar gewesen bist.«
    »Ja, das ist ein guter Gedanke.«
    Sie traten aus der Kaserne auf die Straße, verabschiedeten sich voneinander, und Rashid sah den Freunden nach, wie sie gemeinsam in Richtung des Bades davonzogen. Sie waren kaum aus seinem Blickfeld verschwunden, da machte er kehrt und ging in die andere Richtung zum Metzger Ibn al Said. Als Rashid den Metzger Ibn al Said wieder verließ, waren ihm zwei Dinge klar geworden. Erstens, dass sein Verdacht sich bestätigt hatte. Ibn al Said stellte keine Würste her, die im Geruch auch nur entfernt jenen ähnelten, die er im Haus des florentinischen Kaufmannes und in der Nacht auf der Straße gerochen hatte. Und zweitens, dass er dem Meister der Suppenschüssel nicht davon berichten würde. Wenigstens jetzt noch nicht. Vielleicht gab es einen anderen Metzger, der diese Würste herstellte. Vielleicht aßen viele Christen in dieser Stadt solche Würste. Er würde das zuerst überprüfen. Und danach … Ja, danach würde er weitersehen.
    Er ging über den Basar, um das Rasiermesser zu kaufen, wie er es seinen Kameraden erzählt hatte. Da er nicht nur im Zorn, sondern auch in seinen Entscheidungen sehr schnell war, dauerte es kaum länger als das Binden seines Gürtels, und er war im Besitz eines neuen, scharfen Rasiermessers. Eigentlich hätte er danach seinen Kameraden ins Bad folgen können. Doch er konnte sich nicht dazu entschließen. Ganz gegen seine Gewohnheit schlenderte er ziellos durch die schmalen Gassen, schaute sich die Auslagen der Messinghändler und Waffenschmiede an, begutachtete verschiedene Öllampen und kostete von den diversen Sorten eines Olivenhändlers. Erst als er vor der Tür des florentinischen Kaufmannes stand, merkte er, dass seine Schritte ihn ganz von selbst wieder zu ihrem Haus geführt hatten. Oder war es Allah, der ihn gelenkt hatte? Nun, wenn er schon mal hier war …
    Ohne lange zu überlegen, pochte er gegen die Tür und wartete . Eine Luke öffnete sich, und das Gesicht des Torhüters tauchte auf.
    »Was wünscht Ihr, Herr?«
    »Ich muss deine Herrschaften sprechen«, antwortete Rashid . Er wusste zwar noch nicht, weswegen, doch das würde ihm schon rechtzeitig einfallen.
    »Jetzt?«
    »Natürlich jetzt«, knurrte Rashid. »Wenn ich morgen hätte kommen wollen, wäre ich morgen gekommen.«
    »Aber Ihr wart doch bereits zur Mittagszeit hier und …«
    »… und ich werde dir zehn Hiebe auf die Fußsohlen verpassen lassen, wenn du nicht augenblicklich dieses Tor öffnest.«
    Das Gesicht des Torhüters wurde blass. Die Luke schloss sich wieder, und Rashid hörte, wie innen ein Riegel zurückgeschoben wurde. Behäbig öffnete sich das schwere Tor.
    »Warum nicht gleich so? Wie ist dein Name?«
    »Mahmud, Herr«, erwiderte der Diener sichtlich kleinlaut.
    »Diesmal werde ich dich nicht bestrafen lassen, Mahmud«, sagte Rashid. »Aber ich werde mich an dein Verhalten heute noch lange erinnern. Und jetzt bring mich zu deinem Herrn.«
    »Sehr wohl, Herr. Kommt«, sagte der Diener und schlurfte voran. »Ich werde Euch in die Bibliothek führen.«
    Rashid ging denselben Weg, den er am Mittag gegangen war, und konnte es kaum fassen, dass das erst wenige Stunden her war. Ihm schien es wie Wochen. Plötzlich wurde er nervös, und mit jedem Schritt beschleunigte sich sein

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