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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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wollendes , daß man also den Willen sekundärer Natur machte, statt daß, in Wahrheit, die Erkenntniß dies ist. Der Wille wurde sogar als ein Denkakt betrachtet und mit dem Urtheil identificirt, namentlich bei Cartesius und Spinoza. Danach nun wäre jeder Mensch Das, was er ist, erst in Folge seiner Erkenntniß geworden: er käme als moralische Null auf die Welt, erkennte die Dinge in dieser, und beschlösse darauf. Der oder Der zu seyn, so oder so zu handeln, könnte auch, in Folge neuer Erkenntniß, eine neue Handlungsweise ergreifen, also wieder ein Anderer werden. Ferner würde er danach zuvörderst ein Ding für gut erkennen und in Folge hievon es wollen; statt daß er zuvörderst es will und in Folge hievon es gut nennt. Meiner ganzen Grundansicht zufolge nämlich ist jenes Alles eine Umkehrung des wahren Verhältnisses. Der Wille ist das Erste und Ursprüngliche, die Erkenntniß bloß hinzugekommen, zur Erscheinung des Willens, als ein Werkzeug derselben, gehörig. Jeder Mensch ist demnach Das, was er ist, durch seinen Willen, und sein Charakter ist ursprünglich; da Wollen die Basis seines Wesens ist. Durch die hinzugekommene Erkenntniß erfährt er, im Laufe der Erfahrung, was er ist, d.h. er lernt seinen Charakter kennen. Er erkennt sich also in Folge und Gemäßheit der Beschaffenheit seines Willens; statt daß er, nach der alten Ansicht, will in Folge und Gemäßheit seines Erkennens. Nach dieser dürfte er nur überlegen, wie er am liebsten seyn möchte, und er wäre es: das ist ihre Willensfreiheit. Sie besteht also eigentlich darin, daß der Mensch sein eigenes Werk ist, am Lichte der Erkenntniß. Ich hingegen sage: er ist sein eigenes Werk vor aller Erkenntniß, und diese kommt bloß hinzu, es zu beleuchten. Darum kann er nicht beschließen, ein Solcher oder Solcher zu seyn, noch auch kann er ein Anderer werden; sondern er ist , ein für alle Mal, und erkennt successive was er ist. Bei Jenen will er was er erkennt; bei mir erkennt er was er will.
    Die Griechen nannten den Charakter êthos und die Aeußerungen desselben, d.i. die Sitten êthê dieses Wort kommt aber von ethos , Gewohnheit: sie hatten es gewählt, um die Konstanz des Charakters metaphorisch durch die Konstanz der Gewohnheit auszudrücken. To gar êthos apo tou ethous echei tên epônymian. êthikê gar kaleitai dia to ethizesthai ( a vocce ethos , i.e. consuetudo , êthos est appellatum: ethica ergo dicta est apo tou ethizesthai , sive ab assuescendo) , sagt Aristoteles (Eth. magna, I, 6, S. 1186, und Eth. Eud., S. 1220, und Eth. Nic. , S. 1103, ed. Ber.). Stobäos führt an: hoi de kata Zênôna tropikôs; êthos esti pêgê biou, aph' hês hai kata meros praxeis reousi (Stoici autem, Zenonis castra sequentes, metaphorice ethos definiunt vitae fontem, e quo singulae manant actiones.) II , Kap. 7. – In der Christlichen Glaubenslehre finden wir das Dogma von der Prädestination, in Folge der Gnadenwahl und Ungnadenwahl (Röm. 9, 11-24), offenbar aus der Einsicht entsprungen, daß der Mensch sich nicht ändert; sondern sein Leben und Wandel, d.i. sein empirischer Charakter, nur die Entfaltung des intelligibeln ist, die Entwickelung entschiedener, schon im Kinde erkennbarer, unveränderlicher Anlagen, daher gleichsam schon bei seiner Geburt sein Wandel fest bestimmt ist und sich bis ans Ende im Wesentlichen gleich bleibt. Diesem stimmen auch wir bei; aber freilich die Konsequenzen, welche aus der Vereinigung dieser ganz richtigen Einsicht mit den in der Jüdischen Glaubenslehre vorgefundenen Dogmen hervorgiengen und nun die allergrößte Schwierigkeit, den ewig unauflösbaren Gordischen Knoten gaben, um welchen sich die allermeisten Streitigkeiten der Kirche drehn, – übernehme ich nicht zu vertreten; da dieses sogar dem Apostel Paulus selbst wohl schwerlich gelungen ist, durch sein zu diesem Zweck aufgestelltes Gleichniß vom Töpfer: denn da wäre das Resultat zuletzt doch kein anderes als:

    »Es fürchte die Götter
    Das Menschengeschlecht!
    Sie halten die Herrschaft
    In ewigen Händen:
    Und können sie brauchen
    Wie's ihnen gefällt. –«

    Dergleichen Betrachtungen sind aber eigentlich unserm Gegenstande fremd. Vielmehr werden jetzt über das Verhältniß zwischen dem Charakter und dem Erkennen, in welchem alle seine Motive liegen, einige Erörterungen zweckmäßig seyn.
    Da die Motive, welche die Erscheinung des Charakters, oder das Handeln, bestimmen, durch das Medium der Erkenntniß auf ihn einwirken, die Erkenntniß aber

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