Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
darbieten. Statt dessen aber ist sie sogar ein unauflösliches Problem; indem selbst die vollkommenste Philosophie stets noch ein unerklärtes Element enthalten wird, gleich einem unauflöslichen Niederschlag, oder dem Rest, welchen das irrationale Verhältniß zweier Größen stets übrig läßt. Daher, wenn Einer wagt, die Frage aufzuwerfen, warum nicht lieber gar nichts sei, als diese Welt; so läßt die Welt sich nicht aus sich selbst rechtfertigen, kein Grund, keine Endursache ihres Daseyns in ihr selbst finden, nicht nachweisen, daß sie ihrer selbst wegen, d.h. zu ihrem eigenen Vortheil dasei. – Dies ist, meiner Lehre zufolge, freilich daraus erklärlich, daß das Princip ihres Daseyns ausdrücklich ein grundloses ist, nämlich blinder Wille zum Leben, welcher, als Ding an sich , dem Satz vom Grunde, der bloß die Form der Erscheinungen ist und durch den allein jedes Warum berechtigt ist, nicht unterworfen seyn kann. Dies stimmt aber auch zur Beschaffenheit der Welt: denn nur ein blinder, kein sehender Wille konnte sich selbst in die Lage versetzen, in der wir uns erblicken. Ein sehender Wille würde vielmehr bald den Ueberschlag gemacht haben, daß das Geschäft die Kosten nicht deckt, indem ein so gewaltiges Streben und Ringen, mit Anstrengung aller Kräfte, unter steter Sorge, Angst und Noch, und bei unvermeidlicher Zerstörung jedes individuellen Lebens, keine Entschädigung findet in dem so errungenen, ephemeren, unter unsern Händen zu nichts werdenden Daseyn selbst. Daher eben verlangt die Erklärung der Welt aus einem Anaxagorischen nous , d.h. aus einem von Erkenntniß geleiteten Willen, zu ihrer Beschönigung, nothwendig den Optimismus, der alsdann, dem laut schreienden Zeugniß einer ganzen Welt voll Elend zum Trotz, aufgestellt und verfochten wird. Da wird denn das Leben für ein Geschenk ausgegeben, während am Tage liegt, daß Jeder, wenn er zum voraus das Geschenk hätte besehn und prüfen dürfen, sich dafür bedankt haben würde; wie denn auch Lessing den Verstand seines Sohnes bewunderte, der, weil er durchaus nicht in die Welt hineingewollt hätte, mit der Geburtszange gewaltsam hineingezogen werden mußte, kaum aber darin, sich eilig wieder davonmachte. Dagegen wird dann wohl gesagt, das Leben solle, von einem Ende zum andern, auch nur eine Lektion seyn; worauf aber Jeder antworten könnte: »So wollte ich eben deshalb, daß man mich in der Ruhe des allgenugsamen Nichts gelassen hätte, als wo ich weder Lektionen, noch sonst etwas nöthig hatte.« Würde nun aber gar noch hinzugefügt, er solle einst von jeder Stunde seines Lebens Rechenschaft ablegen; so wäre er vielmehr berechtigt, selbst erst Rechenschaft zu fordern darüber, daß man ihn, aus jener Ruhe weg, in eine so mißliche, dunkele, geängstete und peinliche Lage versetzt hat. – Dahin also führen falsche Grundansichten. Denn das menschliche Daseyn, weit entfernt den Charakter eines Geschenks zu tragen, hat ganz und gar den einer kontrahirten Schuld . Die Einforderung derselben erscheint in Gestalt der, durch jenes Daseyn gesetzten, dringenden Bedürfnisse, quälenden Wünsche und endlosen Noch. Auf Abzahlung dieser Schuld wird, in der Regel, die ganze Lebenszeit verwendet: doch sind damit erst die Zinsen getilgt. Die Kapitalabzahlung geschieht durch den Tod. – Und wann wurde diese Schuld kontrahirt? – Bei der Zeugung. –
Wenn man demgemäß den Menschen ansieht als ein Wesen, dessen Daseyn eine Strafe und Buße ist; – so erblickt man ihn in einem schon richtigeren Lichte. Der Mythos vom Sündenfall (obwohl wahrscheinlich, wie das ganze Judenthum, dem Zend-Avesta entlehnt: Bun-Dehesch, 15) ist das Einzige im Alten Testament, dem ich eine metaphysische, wenn gleich nur allegorische Wahrheit zugestehn kann; ja, er ist es allein, was mich mit dem Alten Testament aussöhnt. Nichts Anderm nämlich sieht unser Daseyn so ähnlich, wie der Folge eines Fehltritts und eines strafbaren Gelüstens. Das neutestamentliche Christenthum, dessen ethischer Geist der des Brahmanismus und Buddhaismus, daher dem übrigens optimistischen des Alten Testaments sehr fremd ist, hat auch, höchst weise, gleich an jenen Mythos angeknüpft: ja, ohne diesen hätte es im Judenthum gar keinen Anhaltspunkt gefunden. – Will man den Grad von Schuld, mit dem unser Daseyn selbst behaftet ist, ermessen; so blicke man auf das Leiden, welches mit demselben verknüpft ist. Jeder große Schmerz, sei er leiblich oder geistig, sagt aus, was wir verdienen:
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