Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
geringe, chemisch gar nicht ein Mal nachweisbare Alteration der Atmosphäre verursacht Cholera, gelbes Fieber, schwarzen Tod u.s.w., welche Millionen Menschen wegraffen; eine etwas größere würde alles Leben auslöschen. Eine sehr mäßige Erhöhung der Wärme würde alle Flüsse und Quellen austrocknen. – Die Thiere haben an Organen und Kräften genau und knapp so viel erhalten, wie zur Herbeischaffung ihres Lebensunterhalts und Auffütterung der Brut, unter äußerster Anstrengung, ausreicht; daher ein Thier, wenn es ein Glied, oder auch nur den vollkommenen Gebrauch desselben, verliert, meistens umkommen muß. Selbst vom Menschengeschlecht, so mächtige Werkzeuge es an Verstand und Vernunft auch hat, leben neun Zehntel in beständigem Kampfe mit dem Mangel, stets am Rand des Untergangs, sich mit Noth und Anstrengung über demselben balancirend. Also durchweg, wie zum Bestande des Ganzen, so auch zu dem jedes Einzelwesens sind die Bedingungen knapp und kärglich gegeben, aber nichts darüber: daher geht das individuelle Leben in unaufhörlichem Kampfe um die Existenz selbst hin; während bei jedem Schritt ihm Untergang droht. Eben weil diese Drohung so oft vollzogen wird, mußte, durch den unglaublich großen Ueberschuß der Keime, dafür gesorgt seyn, daß der Untergang der Individuen nicht den der Geschlechter herbeiführe, als an welchen allein der Natur ernstlich gelegen ist. – Die Welt ist folglich so schlecht, wie sie möglicherweise seyn kann, wenn sie überhaupt noch seyn soll. W. z.B. w. – Die Versteinerungen der den Planeten ehemals bewohnenden, ganz anderartigen Thiergeschlechter liefern uns, als Rechnungsprobe, die Dokumente von Welten, deren Bestand nicht mehr möglich war, die mithin noch etwas schlechter waren, als die schlechteste unter den möglichen.
Der Optimismus ist im Grunde das unberechtigte Selbstlob des eigentlichen Urhebers der Welt, des Willens zum Leben, der sich wohlgefällig in seinem Werke spiegelt: und demgemäß ist er nicht nur eine falsche, sondern auch eine verderbliche Lehre. Denn er stellt uns das Leben als einen wünschenswerthen Zustand, und als Zweck desselben das Glück des Menschen dar. Davon ausgehend glaubt dann Jeder den gerechtesten Anspruch auf Glück und Genuß zu haben: werden nun diese, wie es zu geschehn pflegt, ihm nicht zu Theil; so glaubt er, ihm geschehe Unrecht, ja, er verfehle den Zweck seines Daseyns; – während es viel richtiger ist, Arbeit, Entbehrung, Noth und Leiden, gekrönt durch den Tod, als Zweck unsers Lebens zu betrachten (wie dies Brahmanismus und Buddhaismus, und auch das ächte Christenthum thun); weil diese es sind, die zur Verneinung des Willens zum Leben leiten. Im Neuen Testamente ist die Welt dargestellt als ein Jammerthal, das Leben als ein Läuterungsproceß, und ein Marterinstrument ist das Symbol des Christenthums. Daher beruhte, als Leibnitz, Shaftesbury, Bolingbroke und Pope mit dem Optimismus hervortraten, der Anstoß, den man allgemein daran nahm, hauptsächlich darauf, daß der Optimismus mit dem Christenthum unvereinbar sei; wie dies Voltaire , in der Vorrede zu seinem vortrefflichen Gedichte Le désastre de Lisbonne , welches ebenfalls ausdrücklich gegen den Optimismus gerichtet ist, berichtet und erläutert. Was diesen großen Mann, den ich, den Schmähungen feiler Deutscher Tintenklexer gegenüber, so gern lobe, entschieden höher als Rousseau stellt, indem es die größere Tiefe seines Denkens bezeugt, sind drei Einsichten, zu denen er gelangt war: 1) die von der überwiegenden Größe des Uebels und vom Jammer des Daseyns, davon er tief durchdrungen ist; 2) die von der strengen Necessitation der Willensakte; 3) die von der Wahrheit des Locke 'schen Satzes, daß möglicherweise das Denkende auch materiell seyn könne; während Rousseau alles Dieses durch Deklamationen bestreitet, in seiner Profession de foi du vicaire Savoyard , einer flachen, protestantischen Pastorenphilosophie; wie er denn auch, in eben diesem Geiste, gegen das soeben erwähnte, schöne Gedicht Voltaire's mit einem schiefen, seichten und logisch falschen Räsonnement, zu Gunsten des Optimismus, polemisirt, in seinem, bloß diesem Zweck gewidmeten, langen Briefe an Voltaire , vom 18. August 1756. Ja, der Grundzug und das prôton pseudos der ganzen Philosophie Rousseau's ist Dieses, daß er an die Stelle der christlichen Lehre von der Erbsünde und der ursprünglichen Verderbtheit des Menschengeschlechts, eine ursprüngliche Güte und
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