Doctor Sleep (German Edition)
wieso wünsche ich mir dann so was?«
» Was möchtest du ungeschehen machen – dass du sie umgebracht hast oder nur die Freude, die es dir bereitet hat?«
Abra ließ den Kopf hängen. Dan hätte sie am liebsten in die Arme genommen, verkniff sich das aber.
»Keine Predigt und keine Moral. Es geht nur darum, was dir durch unsere Familie im Blut liegt. Um den dummen Drang, den auch wachsame Menschen verspüren. Und du hast jetzt in deinem Leben einen Zeitpunkt erreicht, an dem du vollständig wach bist. Es ist schwer für dich. Das weiß ich. Es ist für alle schwer, aber den meisten Teenagern fehlen deine Fähigkeiten. Deine Waffen.«
» Was soll ich nur tun? Was kann ich überhaupt tun? Manchmal werde ich so zornig … nicht nur auf sie, sondern auch auf irgendwelche Lehrer … oder auf bestimmte Tussen in der Schule, die sich für was ganz Besonderes halten … die einen auslachen, wenn man nicht gut in Sport ist oder die falschen Klamotten trägt und so …«
Dan dachte an einen Rat, den Casey Kingsley ihm einmal gegeben hatte. »Geh auf die Müllkippe.«
» Hä?« Sie sah ihn mit großen Augen an.
Er sandte ihr ein Bild: Abra, die ihr außergewöhnliches Shining – das, so unglaublich es war, immer noch nicht seinen Höhepunkt erreicht hatte – dazu benutzte, ausrangierte Kühlschränke umzukippen, erloschene Fernseher explodieren zu lassen und Waschmaschinen durch die Gegend zu schleudern, dass ein Schwarm Möwen erschrocken aufflog.
Jetzt kicherte sie. »Meinst du, das hilft?«
»Besser die Müllkippe als die Teller deiner Mutter.«
Sie legte den Kopf schräg und sah ihn mit fröhlichem Blick an. Jetzt waren sie wieder Freunde, und das war schön. »Aber diese Teller waren echt hässlich.«
» Wirst du’s versuchen?«
»Klar.« Man sah ihr an der Nasenspitze an, dass sie es kaum erwarten konnte.
»Noch etwas.«
Sie wurde wieder ernst.
»Du musst dir von niemand was bieten lassen.«
»Das ist doch gut, oder?«
»Ja. Denk bloß immer daran, wie gefährlich dein Zorn sein kann. Halt ihn …«
Sein Handy läutete.
»Du solltest drangehen.«
Er hob die Augenbrauen. » Weißt du etwa, wer das ist?«
»Nein, aber ich glaube, es ist wichtig.«
Er zog das Telefon aus der Tasche und blickte aufs Display. RIVINGTON HOUSE.
»Hallo?«
»Ich bin’s. Claudette Albertson. Danny, kannst du sofort herkommen?«
Er ging im Geiste die Hospizgäste durch, deren Namen mo mentan auf seiner Tafel standen. »Amanda Ricker? Jeff Kellogg?«
Es stellte sich heraus, dass es keiner von den beiden war.
» Wenn du kommen kannst, solltest du es wirklich gleich tun«, sagte Claudette. »Solange er noch bei Bewusstsein ist.« Sie zögerte. »Er fragt nach dir.«
»Ich komme.« Falls es allerdings so schlimm ist, wie du sagst, ist er wahrscheinlich längst tot, wenn ich da bin. Dan legte auf. »Ich muss los, Kleines.«
»Obwohl er nicht dein Freund ist. Obwohl du ihn nicht einmal magst.« Abra blickte gedankenvoll drein.
»Trotzdem.«
» Wie heißt er? Das hab ich nämlich nicht verstanden.«
(Fred Carling)
Er schickte ihr den Namen, dann umarmte er sie ganz, ganz fest. Abra erwiderte die Umarmung.
»Ich versuch’s«, sagte sie. »Ich versuch’s mit aller Kraft.«
»Das weiß ich«, sagte er. »Ganz bestimmt. Hör mal, Abra, ich hab dich ganz arg lieb.«
»Da bin ich froh«, sagte sie.
3
Claudette saß im Schwesternzimmer, als er eine Dreiviertelstunde später eintraf. Er stellte die Frage, die er schon so oft gestellt hatte: »Ist er noch bei uns?« Als befänden sie sich auf einer Busfahrt.
»Mehr oder weniger.«
»Bei Bewusstsein?«
Sie wedelte mit der Hand. »Immer mal wieder.«
»Und Azzie?«
»Der war eine Weile bei ihm im Zimmer und ist nur rausgeflitzt, als Dr. Emerson gekommen ist. Jetzt ist der weg, er kümmert sich um Roberta Jackson. Sobald er gegangen war, ist Azzie wieder rein.«
» Wird er ins Krankenhaus verlegt?«
»Das geht nicht. Noch nicht. Bei Castle Rock sind auf der Route 119 vier Wagen ineinandergekracht. Viele Verletzte. Dahin sind vier Rettungswagen unterwegs, der Hubschrauber ebenfalls. Die Leute dort ins Krankenhaus zu bringen wird wahrscheinlich manchen von ihnen etwas nützen. Aber was Fred angeht …« Sie zuckte die Achseln.
» Was ist eigentlich passiert?«
»Du kennst ja unseren Fred – Junkfood ist sein Ein und Alles und McDonald’s sein zweites Zuhause. Wenn er über die Cranmore Avenue rennt, dann schaut er manchmal links und rechts, und manchmal tut
Weitere Kostenlose Bücher