Dracyr – Das Herz der Schatten
Es regnet schon den ganzen Tag. Schwere bleigraue Wolken hängen über der Burg und der dichte Regen verschleiert die Sicht auf die Dächer der Stadt.
Hinter ihm stöÃt der Verschwörer, den sie seit Stunden verhören, mit seinem letzten, röchelnden Atemzug noch eine allerletzte Verwünschung aus. Ein Fluch, der sich zu all den anderen gesellt, die täglich, stündlich gegen seinen Vater ausgestoÃen werden und die Lord Harrynkar mit einem Hohnlächeln quittiert. Nutzlose Flüche sind es, wirkungslos wie das Zetern eines Marktweibs, dem ein Korb Ãpfel umgestoÃen wird.
Damian wendet sich nicht um. Er blickt in den Regen und lauscht den Geräuschen, dem Klirren und Scharren, Schleifen und dumpfen Poltern. Sie bringen den Leichnam hinaus. Der Knochenhauer wird ihm den Kopf abtrennen und seine Ãberreste den Dracyr zum Abendessen servieren.
Er seufzt. Schritte nähern sich und die Wärme eines anderen Körpers lässt ihn erschaudern. Eine schwere Hand legt sich auf seine Schulter, unter ihren Fingernägeln trocknet Blut. Die vertraute Gegenwart seines Vaters verstört ihn und lässt seine Nerven wie Saiten vibrieren.
» Was betrübt dich? « Die tiefe, befehlsgewohnte Stimme des Dracyrmeisters ist zu einem Murmeln gesenkt. Hinter ihnen fegen und wischen Bedienstete den Steinboden der Kammer, für ihre Ohren ist ihr Gespräch nicht bestimmt.
Damian hebt die Schultern und legt seine Hände flach auf die Fensterbank. » Ich bin müde « , sagt er abweisend. Sein Gesicht in der Fensterscheibe, blass und groÃäugig wie ein seltsamer Fisch.
» Nur müde? Oder plagen dich wieder trübe Gedanken? « Sein Vater fragt geduldig, aber es liegt Stahl unter der Ruhe.
Damian strafft seine Haltung und wendet sich vom Fenster ab, dem Dracyrmeister zu. Er erwidert den Blick der schillernden schwarzgrünen Augen, fühlt den magnetischen, hypnotischen Sog, der von ihnen ausgeht. Dracyraugen. Sein Vater scheint an manchen Tagen mehr Dracer als Mensch zu sein, und es sind diese Tage, die er am meisten fürchtetâ wie alle, die in der Burg leben.
» War es nötig, ihn zu foltern, Mylord? Er hat uns nichts verraten « , sagt Damian geradeheraus. Seine Furcht vor Lord Harrynkars Zorn ist groÃ, aber noch gröÃer ist der Abscheu, der ihn mit eisernen Klauen gepackt hält. Der Mann hat so lange geschrien und gewimmert, geflucht und um Gnade gebettelt. Es hat so lang gedauert, bis er endlich starb. Damian betrachtet seine Hände, sie zittern.
Damian ist hochgewachsen, aber Lord Harrynkar überragt ihn noch um mehr als Haupteslänge und ist im Gegensatz zu seinem Sohn breit und schwer gebaut, mit mächtigen Schultern und einem kantigen Schädel und Händen, die mit einer beiläufigen Bewegung ein Genick brechen können wie einen toten Ast. Nicht, dass er das tun müsste. Wenn er tötet, dann mit einem Blick, einer Geste. Jetzt wirft er mit einer ungeduldigen Kopfbewegung das dunkelrote Haar zurück, das sich aus seinem Band gelöst hat, und fixiert Damian mit einem Ausdruck, den dieser nicht zu deuten weiÃ.
» Du zweifelst « , sagt der Dracyrmeister. Seine Stimme, so leise sie ist, klingt wie eine mächtige Bronzeglocke. Damian weiÃ, dass ihr Ruf mühelos das Donnern eines Gewitters durchdringen kann. Er unterdrückt sein Zittern und nickt.
» Du fragst dich, warum ich ihn nicht nach seinem Ergreifen sofort an die Dracyr verfüttert habe. «
» Ich frage es mich, ja. « Damian hebt das Kinn, erwidert den Blick fest und mit Kraft. » Er wollte nichts sagen oder er konnte es nicht. In beiden Fällen war es unnötig, ihn weiter zu quälen. «
Lord Harrynkar nickt nachdenklich, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Tief in seinen Augen glitzert Dracyrfeuerâ oder ist es die Reflexion eines der Magerlichter in der Fensterscheibe? Damian fährt nervös mit der Zungenspitze über seine Lippen. Man widerspricht dem Dracyrmeister nicht. Man bietet ihm nicht die Stirn. Niemand wagt das, auch nicht sein einziger Sohn und Erbe.
» Man weià nie, ob sie nicht doch noch reden « , sagt Lord Harrynkar schlieÃlich. » Die letzten Momente eines Lebens sind die entscheidenden, wenn sie spüren, dass die Nacht sich senkt, das Herz aufhört zu schlagen, der Atem stockt. Oft reden sie dann, weil sie hoffen, ich würde ihnen Gnade gewähren. «
Damian gibt
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