Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
haben, wird sie kunstvoll in Portionen geschnitten. Die werden dann vor dem Restaurant 45 Minuten lang in Öl, Knoblauch und Tomaten gekocht.
Besonders gerühmt werden die Schafshoden. Sie sollen äußerst lecker sein und potent machen. Frédéric wagt sich an das exotische Gericht heran. Doch er schafft nur einen Hoden. Auf eine weitere Potenzsteigerung verzichtet er. Stattdessen isst er schnell zwei Portionen Joghurt, um einen anderen Geschmack in den Mund zu bekommen.
Auf dem Rückweg kommen uns gepanzerte Fahrzeuge und Scharfschützen entgegen. Die Symbole des Krieges sind fast allgegenwärtig. Wir nehmen sie kaum noch wahr. Später erfahren wir, dass es sich um einen Gefangenentransport aus dem berüchtigten US -Gefängnis Bagram handelt. Es soll die Hölle sein, schlimmer als Guantánamo.
Karsai und der Taliban-Führer
Manchmal schaffe ich es, in derselben Woche den afghanischen Präsidenten und einen Führer der Taliban zu treffen. Karsai scheint sich zu freuen, Frédéric, Julia und mich zu sehen. Für Frédéric ist es schon das zweite Treffen mit ihm.
Karsai schaut mich nachdenklich an. Das sei ja ein folgenreicher Vorschlag gewesen, den ich ihm 2008 gemacht hätte. Damals, nach dem amerikanischen Bombenmassaker von Asisabad, hätte ich ihm doch geraten, heftiger und lauter gegen die Bombardierung von Zivilisten zu protestieren. Seither seien seine Beziehungen zur US -Regierung sehr kompliziert, sagt er. Er habe durch seine Kritik viele Freunde in Washington verloren. Das mache das Regieren in diesem schwierigen Land noch schwerer.
Für Karsai ist die Behauptung, der Afghanistankrieg sei ein Antiterrorkrieg, eine »Farce«, ein Witz. Die internationalen Terroristen säßen schon lange in anderen Ländern. Den USA gehe es hinter den Kulissen nur noch darum, Afghanistan zu einem geostrategischen Luftwaffenstützpunkt auszubauen. Dem größten in Zentralasien. Sie wollten Garantien, dass sie ihre Militärbasen noch mindestens zwanzig bis dreißig Jahre nutzen dürften.
Die Garantien könnten sie auch bekommen. Doch im Gegenzug müssten sie sich aus den Städten und Dörfern des Landes zurückziehen und aus dem Alltag der Afghanen verschwinden. Vor allem müssten sie aufhören, afghanische Dörfer zu bombardieren. Wenn sie das nicht akzeptierten, müssten sie gehen. Afghanistan gehöre den Afghanen und nicht den Amerikanern. Karsai ist in diesem Punkt sehr klar.
Fünfzig Prozent der getöteten afghanischen Zivilisten gingen auf das Konto der USA und der NATO . Wenn die USA oder die UNO etwas anderes sagten, sei dies einfach nicht wahr.
Die Drohnenattacken seien ebenfalls nicht hinnehmbar. Sie forderten viele zivile Opfer. Drohnenangriffe seien »Terrorismus. Aus dem Unsichtbaren zuzuschlagen und Menschen in die Luft zu jagen ist die feigste Art der Kriegführung«, sagt Karsai.
Die Auseinandersetzung mit den Taliban sei Sache der Afghanen. Seine Abgesandten verhandelten mit ihnen in Saudi-Arabien, in Katar und selbst in Kabul. Er sei optimistisch, noch vor dem Ende seiner Amtszeit eine Einigung zu erreichen. Ich frage ihn, ob er sich auch eine Versöhnung mit Mullah Omar vorstellen könne. »Frieden heißt vergeben und vergessen«, antwortet er. Selbstverständlich sei er bereit, sich mit Mullah Omar zu verständigen.
Karsai ist entspannter als bei unserem letzten Treffen. Ich sage ihm das. Im selben Augenblick fängt seine linke Gesichtshälfte wieder an zu zucken. Wie beim letzten Mal. Ich hätte besser geschwiegen.
Auch der Taliban-Kommandeur Mullah Nasrat, dem ich schon 2009 begegnet war, stimmt einem Treffen zu. Er befehligt mittlerweile zehn Prozent der afghanischen Taliban und untersteht Mullah Omar direkt. Vor einem halben Jahr wurde er bei einem Drohnenangriff an Schulter und Oberschenkel schwer verletzt. Sein Bruder und sein Cousin wurden dabei getötet. Sie starben vor seinen Augen.
Die Anreise zu unserem Treffpunkt im Osten Afghanistans ist diesmal noch mühsamer als das letzte Mal. Auf halber Strecke gibt es einen langen Stau. Sicherheitsleute in Tarnuniform haben eine Straßenbombe entdeckt und entschärft. Drei Mann kehren wenige Meter vor uns schwarzes Pulver zusammen.
Alle paar Kilometer gibt es Straßensperren. Militärpolizisten werfen einen Blick in unsere Gesichter und in den Kofferraum. Aus unserem Radio dröhnt zwar paschtunische Stammesmusik. Aber ich sehe nun mal nicht wie ein Paschtune aus. Jedes Mal bin ich erleichtert, wenn wir durchgewinkt werden. Die afghanische
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