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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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Versuch. Dreimal habe er es mit dem Boot probiert. Doch die Bootsbesitzer seien im letzten Augenblick stets abgesprungen. Er gibt auf. Todtraurig wird er nach Schweden zurückfahren.
    Um das Café kreisen schräge Gestalten. Man sollte Menschen grundsätzlich nicht mit Tieren vergleichen. Aber diese Leute wirken leider wie Hyänen. Einer flüstert mir ins Ohr: »100 Dollar – und ich bringe Sie durch einen Tunnel nach Gaza.« Ich frage leise zurück: »100 Dollar für alle zusammen?« »Nein, für jeden«, zischt er verächtlich und geht weiter.
    Wir beraten. Ich weiß, dass die Tunnel Gazas wichtigste Lebensadern sind. Dass sie überwiegend von Schmugglern, aber auch von Kriminellen betrieben werden. Dass die Betreiber Schutzgelder an die ägyptischen Grenzbehörden, aber auch an die palästinensische Hamas bezahlen müssen. Dass die Tunnel, wenn es Ärger gibt, von der ägyptischen Grenzpolizei einfach zugeschüttet oder gewässert werden. Dass Mubarak zeitweise sogar unterirdische Eisensperren errichten ließ.
    Die Tunnel sind eines der schmutzigsten und gefährlichsten Geschäfte der Welt. Israelische Kampfjets haben sie häufig bombardiert. Allein seit 2007 starben dabei über 200 Menschen. Am Tag vor unserer Ankunft wurde israelisches Gebiet aus Gaza beschossen. Jederzeit kann es zu einem Schlag der israelischen Luftwaffe gegen die Tunnel kommen.
    Angesichts der hohen Kosten und Risiken beschließe ich, alleine zu fahren. Doch da habe ich die Rechnung ohne Julia und Khaled gemacht. Sie bestehen darauf mitzukommen. Die Fahrt durch den Sinai, die sie nur meinetwegen auf sich genommen hätten, sei genauso gefährlich gewesen, wie durch einen Tunnel nach Gaza zu kriechen.
    Inzwischen haben wir mehrere Schleuser am Hals. Als wir schließlich in einen abgedunkelten roten Alt-Mercedes steigen, versperren uns die anderen Ganoven den Weg. Einer droht, er werde den ägyptischen Geheimdienst informieren, wenn wir nicht mit ihm führen. Khaled gibt ihm 20 Dollar. Das ist nicht viel. Einen Teil davon muss er ohnehin dem Geheimdienst abtreten. Jeder, der den Geheimdienst übergeht, riskiert ein paar Jahre Gefängnis. Auch als Tourist.
    Unser Fahrer, ein ausgemergelter, etwa 30-jähriger Mann mit seltsam glitzernden, dunklen Augen, ist nervös und aggressiv. Er schreit die ganze Zeit. Ich sage ihm, für 300 Dollar dürfe er ruhig höflicher sein. Doch nun brüllt er hysterisch los und verlangt noch mehr Geld. Noch nie habe ich einen derart tobenden, unangenehmen Araber erlebt. Ich weiß, dass ich reagieren muss.
    »Anhalten«, sage ich laut. »Anhalten.« Da er weiterfährt, ziehe ich die Handbremse. Dann erkläre ich ihm sehr deutlich und sehr bestimmt, dass ich in 50 Jahren noch nie jemandem gestattet hätte, so mit mir zu reden. Und dass er das sofort zu beenden habe. »Nicht in einer Minute, sondern sofort.«
    Julia und Khaled halten die Luft an. Sie haben mich noch nie so hart erlebt. Doch die Standpauke wirkt. Plötzlich wird der hysterische Schlepper leiser und singt eine Oktave tiefer.
    Auf sandigen Straßen fahren wir um mehrere Häuserblocks herum. Der Fahrer will vermeiden, dass wir uns die Strecke merken können. Er lebt offenbar in ständiger Angst. Vor gierigen Grenzbeamten, konkurrierenden Banden, israelischen Bomben und ägyptischen Gefängnissen.
    Wir stehen vor einem unscheinbaren Haus. Das Tor öffnet sich. Wir blicken auf einen anderthalb Meter hohen und weniger als einen Meter breiten Eingang ins Erdinnere. Da sollen wir durch? Es gibt viele Tunnel nach Gaza. Durch manche passen ganze Autos, andere sind winzig. Unserer gehört zu den ganz kleinen. Trotzdem haben die Männer angeblich ein Jahr gebraucht, um ihn zu graben und abzustützen.
    Vor dem Eingang stehen vier Jugendliche. Auch sie sind hektisch und nicht sympathisch. Keiner schaut uns in die Augen. Aber wie soll man gewinnend wirken, wenn man ständig vor irgendjemandem auf der Hut sein muss?
    Die Bande will, dass wir so schnell wie möglich im Tunnel verschwinden. Doch vorher benötigen sie eine Genehmigung der anderen Seite. Vor allem die Hamas muss zustimmen. Also müssen wir den Tunnelganoven unsere Papiere zeigen. Sie telefonieren mit der anderen Seite. Der Ton ist rau. Wir befinden uns in den Händen einer richtigen Mafiabande.
    Endlich geht es los. Als Größter muss ich mich am meisten ducken. Auf Dauer ist das mühsam. Im Tunnel ist es heiß und dunkel. Nur alle 15 Meter hängt eine schummrige Lampe. In der Mitte des Tunnels steht rechts

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